Mann und Frau

Das ist eine «Espresso»-Kolumne vor fast genau sieben Jahren. Wie jetzt hatten in ganz Europa die Fussball-Meisterschaften wieder begonnen. Und es war ein Gespräch zwischen einem Mann und einer Frau, zufällig mitgehört in einem Bistro im Zürcher Seefeld. Zwei Abschnitte dieser Kolumne habe ich aktualisiert.



Mann und Frau


Sie fragt, hast du es gesehen?

Er fragt, was soll ich gesehen haben?

Sie streckt ihm eine Ausgabe des «Spiegels» entgegen und sagt: Lies diesen Text.

Er nimmt das Magazin und sagt nichts.

Beginnt zu lesen. Und sie schaut ihn an, während er liest, und er liest lange und legt das Magazin dann wieder auf den Tisch. Und sagt weiter nichts.

Und sie fragt: Und?

Und er sagt ja, ja.

Bruno und Luca, der Werber und der Architekt, sitzen am Nebentisch, stumm, sie blättern in ihren Zeitungen, einer die NZZ, der andere der Tagi, wie immer bei ihren morgendlichen Treffen im Bistro, aber sie lesen diesmal nicht, sondern hören mit, was die beiden miteinander reden. Es ist ein Paar, sie nehmen es wenigstens an, dass es ein Paar ist, so, wie sie sich geben.

Sie fragt: Und, was findest du?

Er zögert mit seiner Antwort und sagt dann, ja, ja, ich weiss, du denkst, ich sollte ..., und er sieht, wie sie auf seinen Bauch blickt und sein Hemd, das etwas spannt, obschon es Grösse XL ist, und sie sagt: Hier steht es.

Und sie wiederholt, was er zuvor auch lesen musste, die Geschichte im «Spiegel» über eine Studie des Max-Planck-Instituts. Wie sehr die
Muskulatur und das Gehirn des Menschen auf geheimnisvolle Art und Weise miteinander verbunden seien. Wer seine Muskeln beanspruche, der
trainiere automatisch auch seine grauen Zellen. «Sport kann beim Lernen helfen, Depressionen lindern und der Demenz vorbeugen», steht geschrieben.

Er nickt. Und schweigt. Und schaut an ihr vorbei aus dem Fenster des Bistros zu den vorbeifahrenden Trams, eines der Linie 4 ist es in diesem Moment, es ist wieder ein sommerlicher Tag. Dann sagt er, er versucht zu lächeln und sieht sie lieb an: Aber siehst du nicht, dass ich seit diesem Wochenende wieder glücklich bin? Und ich finde, das ist für mich und auch für unsere Beziehung gut.

Hm, sagt sie, wie kommst du nur darauf?.

Und jetzt ist er es, der aus seiner Hosentasche einen kleinen Zettel nimmt, er trage ihn schon lange mit sich, und er habe es ihr schon lange zeigen wollen. Er liest es vor, es ist ein Zitat des englischen Autors Nick Hornby aus seinem wunderbaren Buch «Fever Pitch», es lautet so: «Ich verliebte mich in den Fussball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte, plötzlich, unerklärlich, unbegreiflich, unkritisch, ohne einen Gedanken an den Schmerz und den Schaden, den er mir zufügen würde.»

Und was willst du mir nun damit sagen?, fragt sie.

Dass ich wieder glücklich bin, sagt er, jetzt spielen sie überall wieder, in allen Ländern und Ligen spielen sie endlich wieder Fussball. Am Sonntag die Bayern, dieser Jamal Musiala, erst 19 ist er, und was für ein Tor er wieder gemacht hat, ein Balltänzer, der werde mal ein Messi; oder, das gehöre sich zwar nicht, aber wie Tuchel und Conte, die beiden Trainer, in London nach dem Spiel aufeinander losgegangen sind, grosses Theater war das; oder Ceesay, den der FCZ so vermisst, der habe gleich im ersten Spiel ein Tor geschossen, für Lecce, wo mein Coiffeur herkommt.

Er sagt, im Fussball kann man sich immer wieder neu verlieben.

Sie sagt, du begreifst wieder mal nicht, was ich dir sagen will.

Er sagt, wolltest du gestern Abend nicht im Wald joggen oder endlich wieder mal Tennis spielen gehen, und was hast du dann gemacht? Du bist vor dem Fernseher gesessen und hast eine weitere Staffel einer Netflix-Serie angesehen. «Liebe und Anarchie» oder wie sie heisst, dieses Techtelmechtel zwischen einer verheirateten Beraterin und einem jungen IT-Experten, wie du mir begeistert vorgeschwärmt hast. Ich frage mich: Warum? Bedeutet das etwas, du arbeitest doch auch als Beraterin?

Sie sagt, das ist etwas anderes.

Bruno und Luca hören alles mit, versteckt hinter ihren Zeitungen, und beim Hinausgehen auf die Seefeldstrasse sagt Bruno zu Luca: «So ist es, wenn Frau und Mann miteinander reden. Sie reden aneinander vorbei.»

(Die Kolumne «Espresso» erschien zwischen 2014 und 2016 im Tages-Anzeiger)

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Kuno Lauener und der Fotograf

Besuch bei Mamma

Hoarau – bitte nicht, YB!

Diego (8): «Yanick, Yanick»

Abschied nehmen

Das Flick-Werk

Chaos bei GC

Weite Reisen

Genug ist genug

Chloote!!!