Pessimistisch sein
Das ist eine «Espresso»-Kolumne aus dem Jahr 2015. Sie handelt davon, dass es vielleicht besser ist, manchmal pessimistisch zu sein. Und der Rat ging an die GC-Fussballer, damals noch nicht in chinesischen Händen, aber schon damals ständig in turbulenten Phasen. Pierluigi Tami wurde als neuer Trainer vorgestellt, nach ihm und bis heute haben die Grasshoppers elfmal den Trainer gewechselt, sind zwischendurch gar abgestiegen. Mit Tami wurden sie aber Vierte, seither waren sie nie mehr so gut, Dabbur war in dieser Saison der beste Torschütze der Meisterschaft. Und vielleicht sollte deshalb Sky Sun, der GC-Präsident aus China, diesmal sagen: «Ich bin pessimistisch.» An diesem Sonntag beginnt auch für GC die Meisterschaft, mit dem Spiel gegen Lugano.
Pessimistisch sein
Bruno, der Werber, ist auch diesmal erstaunt, wie schwärmerisch Luca sein kann, der seit seinen Weihnachtsferien in Los Angeles zum Football-Liebhaber geworden ist.
So sitzt Bruno diesmal allein in einer Ecke des Bistros im Zürcher Seefeld, blättert in seiner Lieblingszeitung, ein Ohr hört manchmal mit, was am Nebentisch gesprochen wird, es sind nur Wortfetzen, und wie meist kann man nichts damit anfangen, weil man die Zusammenhänge nicht·kennt.
Aber ein Satz bleibt bei Bruno hängen. Zwei junge Leute diskutieren, er hat sie in diesem Bistro vorher noch nie gesehen: «Ich bin pessimistisch.» Das sagt der eine, und Bruno überlegt, was er damit meinen könnte. Ist es wegen einer bevorstehenden Prüfung, hat er Stress in seiner Beziehung, reden die beiden über die Sorgen, die sich manch einer macht, in diesen Zeiten mit den vielen Fragezeichen und Ängsten?
Bruno weiss es nicht, erinnert sich aber an eine Studie, über die er kürzlich gelesen hatte. Pessimisten hätten, so fande deutsche Wissenschaftlern bei Untersuchungen unter Senioren heraus, eine höhere Lebenserwartung als Optimisten.
Die Fussballmeisterschaft, die in der Schweiz bald wieder beginnt, geht Bruno durch den Kopf. Und die Grasshoppers, dieser einst so stolze und erfolgsverwöhnte Club. Bruno sinniert, dass es vielleicht klüger wäre, die Dinge einmal nicht immer durch die rosa Brille zu betrachten.
Wie hat es zuletzt bei GC wiederholt getönt, mit den ständig neuen Trainern und fast ebenso vielen neuen Präsidenten und den immer wieder geänderten Konzepten? Jetzt sei alles anders, werde alles besser, dies sei nun der Wunschkandidat und es hätte keinen besseren gegeben, man sei auf dem richtigen Weg, und zwischendurch war man es auch, kurzfristig, bis zum nächsten Absturz. Und es kamen wieder Neue, die alles wunderbar fanden, ein ewiger Kreislauf, von einem Chaos zum nächsten.
Jetzt also ist Pierluigi Tami der neue Trainer, der Tessiner, dem laute Töne fremd sind und der sich selber nicht so wichtig nimmt, ein Mann, der Vertrauen ausstrahlt, immer zurückhaltend ist. Und Bruno stellt sich vor, dass es mit Tami und auch in anderen Clubs, die neue Trainer geholt haben und sie als Götter sehen, als Einzige, die in diesem Moment helfen können, viel besser käme, wenn sie keine Erwartungen hätten oder zumindest nicht laut darüber redeten. Wenn sie gar Pessimismus verbreiten, öffentlich eingestehen würden, auch mit dem Neuen werde es schwierig und klappe es möglicherweise nicht.
Pessimisten haben keine Ziele, die unrealistisch sind. Und damit eigentlich allen Grund, optimistisch und unbelastet nach vorne zu blicken. So könnten nicht nur Senioren eine längere Lebenserwartung haben, wie diese Studie offenbar zeigt, sondern Clubs mit ihren Trainern länger zufrieden sein.
Bruno, plötzlich beunruhigt über seine Gedankengänge, hofft nicht, dass die beiden Jungen am Nebentisch das so gemeint haben. Nur Senioren, wie auch er bald einer ist, dürfen gelegentlich Pessimisten sein und keine grossen Erwartungen mehr haben. Vielleicht überrascht sie das Leben dann noch. Ein letztes Mal.
(Die Kolumne «Espresso» erschien zwischen 2014 und 2016 im Tages-Anzeiger).
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