Gestörte Idylle

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Es war ein wunderbarer Sommerabend im Park im Grünen in Münchenstein bei Basel, die Sonne verschwand langsam hinter den Bäumen, im angrenzenden Teich das Spiel des Wassers aus einer Fontäne, es war warm mit einem lauen Lüftchen, und die Menschen sassen oder standen auf der Wiese und dem kleinen Hügel, schauten zur Bühne und hörten Patent Ochsner zu. Büne Huber sagte, wie schön es sei, nach langer Zeit wieder solche Konzerte spielen zu können und wie sie es vermisst hätten. Wir alle haben es vermisst.

Es war spürbar, wieviel Spass es den Bandmitgliedern machte, endlich wieder spielen zu können, vor Publikum, sie taten es leidenschaftlich, und wie immer bei den Ochsners hatte jede und jeder seinen besonderen Auftritt, mit viel Hingabe und Lust.

Und sie spielten nicht nur die Lieder, die sie immer spielen (müssen), sondern auch ein paar eher seltene, und einmal sagte Huber, er wisse, dieser Song passe eigentlich nicht in eine solche Ambiance, es sei kein lauter Song, sondern ein sehr nachdenklicher, einer für einen intimen Abend, aber sie wollen ihn spielen, er passe eben auch, er sei wichtig, weil sie so fürchterlich sind, diese Zeiten. Und im Publikum wurde es still, die schrecklichen Bilder des Krieges kamen vor Augen, auch wenn es in diesem Moment so idyllisch war im Grünen.

Der Song geht so, ursprünglich war es ein altes deutsches Volkslied, Patent Ochsner übernahmen es 1994 für das Album «Gmües»:

I ha letscht nacht e troum gha
Viu schlimmer gieng er nümm
Es wachst bi mir im garte
E boum vou rosmarin

Dr friedhof isch dr garte
Es bluemebeet isch es grab
& De früehligsgrüene böim
Gheie d bletter & d blüeten ab

Die blüete tuen I sammle
Im ene huuchdünne glas
Aber das gheit mir us de finger
& Verschlat dunger uf dr schtrass

Druus gsehn I perle tropfe
& Träne roserot
I weiss nid was dä troum söu bedüte
Säg liebschti bisch du tot?

Auf der Webseite von Patent Ochsner, auf der der Musiker, Maler und Poet Büne Huber ein wunderbares und endloses Tagebuch führt, schreibt, malt, fotografiert und farbig gestaltet, steht im File 1010 nach dem Konzert in Aarberg zwei Wochen vorher: «I ha letschti Nacht e Troum gha» war von einer ergreifend schmerzlichen Tiefe und von grosser Emotionalität. Auf dem Stadtplatz wurde es in Gedanken an die Opfer dieses durch und durch dreckigen Krieges in der Ukraine mucksmäuschenstill. Ich hatte Gänsehaut in den Ohren.»

Büne Huber und Patent Ochsner in Münchenstein.

Am gleichen Abend wie in Münchenstein traten in Düsseldorf, in ihrem Düsseldorf, die Toten Hosen auf. Seit 40 Jahren spielen sie, 1982 hatten sie ihr erstes Konzert unter der Rheinbrücke in Düsseldorf gegeben, sie hatten den Generator selber mitgebracht, weil damals kein Club Interesse an der Band zeigte.

Jetzt feierten sie den 40. Geburtstag der Band, und sie feierten in Düsseldorf auch den 60. Geburtstag von Frontmann Campino. 50 000 sangen im Stadion «Happy Birthday», es war sehr laut, wie immer bei den Hosen, aber auch hier wurde es einmal still. Campino sagte, es wirke surreal hier zu sein und zu feiern und gleichzeitig werde mitten in Europa Krieg geführt. «Unsere Freiheit und unser Leben müssen wir verdammt nochmal jeden Tag würdigen», sagte er, der einst den Wehrdienst verweigert hatte, heute dies aber nicht mehr tun würde: «Wir können es uns nicht leisten, völlig wehrlos gegenüber Despoten zu sein.»

Campino und Tote Hosen in Düsseldorf.

Und dann gibt es in diesen Tagen auch dieses Bild, ein Gruppenfoto vom G-7-Gipfel im Garten von Schloss Elmau in Bayern. Boris Johnson legt den Arm auf die Schulter von Kanzler Olaf Scholz, Emmanuel Macron hat seinen Sakko ausgezogen, Joe Biden lächelt und alle anderen auch, betont locker geben sie sich, blauer Himmel, saftige Wiesen und im Hintergrund die Berge, es sehe aus in dieser Kulisse, schreibt die «Süddeutsche Zeitung» dazu, «als hätten sich die Herrschaften in eine Traumwelt geflüchtet».

Konzerte können auch eine Flucht sein. Aber Lieder wie «I ha letschti Nacht e Troum gha» von Patent Ochsner gehören auch dazu, und selbst der Stadionsong «Tage wie diese» der Hosen, den immer alle mitgrölen, hat eine Zeile, die so passt: An Tagen wie diesen wünscht man sich Unendlichkeit.

Büne Huber schreibt nach dem Konzert in Münchenstein in seinem Tagebuch, inzwischen das File 1027: «Es war eine wundervoll lauschige Sommernacht, die uns geschmeidig und zufrieden machte. Es war ein einziges leichtes Tänzeln. Und so tänzelten wir nach dem Konzert hinter der Bühne im Garten weiter, bis Herr Stichelberger von der Sittenpolizei vehement einschritt und uns zum Teufel schickte. Und genau das taten wir dann auch.» Sie übernachteten im Hotel Teufelhof in Basel.

Glücksmomente schaffen in diesen Zeiten. Das sei wichtig, sagt auch Campino.

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