Blatter wie Hopper


An diesem Mittwoch begann in Bellinzona vor dem Bundesstrafgericht der Prozess gegen Joseph Blatter, 86, und Michel Platini, 66, den einstigen Fifa-Präsidenten und den früheren Fussball-Strategen. Die beiden, einst Freunde, heute spinnefeind, müssen sich verteidigen gegen Anschuldigungen der Bundesanwaltschaft wie Betrug und Urkundenfälschung. Die Urteilsverkündigung ist für den 8. Juli vorgesehen.

Im September 2015 war gegen Blatter von der Bundesanwaltschaft ein Strafverfahren eröffnet worden, ihm wird eine «treuwidrige Zahlung» an Platini vorgeworfen, er musste von der grossen Fussballbühne abtreten.

Von Blatters letzten Tagen in seinem feudalen Fifa-Büro auf dem Zürichberg handelt diese Kolumne damals im Oktober 2015.


Blatter wie Hopper



Bruno, der Werber, legt an diesem Montag, als er sich wieder mit Luca, dem Architekten, zum frühmorgendlich Espresso im Seefelder Bistro trifft, ein Bild auf den kleinen Tisch am Fenster, ausgeschnitten aus einer Zeitung. Luca soll es sich genau anschauen.

Er sagt, das Bild erinnere ihn an den amerikanischen Maler Edward Hopper und dessen grossartigen Werke, die immer wieder unterkühlte und triste städtische Motive zum Thema haben, die Einsamkeit und Entfremdung von Menschen zeigen, «Nighthawks», die Nachtschwärmer, mit drei Personen in einer Bar, die trostlos auf ihren Stühlen sitzen, ist das bekannteste.

Das Bild, das Bruno mitgenommen hat, zeigt den Blick durch eine Fensterfront eines Gebäudes, es ist Nacht, der Fotograf muss von weit weg herangezoomt haben. Fad, gelblich, ist das künstliche Licht im Raum, die Vorhänge sind halb gezogen, und ein Mann mit Glatze und wenigen grauen Haaren, ist zu sehen, gebückt seine Haltung, seinen Blick hat er zum Boden gerichtet. Man sieht es nicht genau, man spürt aber, er muss Sorgen haben, einsam und sehr nachdenklich wirkt er, wie die Menschen auf Hoppers Bildern, er trägt ein Jackett, die Krawatte hat er abgelegt.

Daneben am langen Pult und nur noch schemenhaft zu sehen, sitzt jemand vor einem PC, er oder sie studiert etwas, vertieft und sehr konzentriert, die Augen ganz nahe an den Bildschirm gedrückt. Man sieht, um welches Gebäude es sich handelt, zwei Buchstaben sind in der Nacht hell beleuchtet, «FA», und zuvor die beiden ersten, verdeckt von einem Baum, ahnt man, es müssen ein «F» und ein «I» sein.

FIFA also, der Sitz des Weltfussball-Verbandes hoch oben über Zürich.

Der Mann im hellen Veston und Hemd ist gut zu erkennen, es ist Sepp Blatter, bei der sitzenden Person muss man raten. Seine Tochter, die zu ihm geeilt ist, um dem Vater zu helfen? Oder ein Mitarbeiter der Schweizer Bundesanwaltschaft? Es ist der Tag, als Blatters Büro im luxuriösen Palast hoch über dem Zürichberg in Beschlag genommen, alles durchsucht und gegen den mächtigsten Mann des Fussballs ermittelt wird.

«Was willst du mir damit sagen?», fragt Luca, und noch ehe er die Frage gestellt hat, legt ihm Bruno noch ein Bild vor, eines, das ein BBC-Reporter über Twitter verbreitete. Blatter ist zu sehen, wie er im Auto sitzt, selber am Steuer, früh am Morgen muss es sein, Blatter ging immer sehr früh in sein Büro, kurz vor der Einfahrt zur Tiefgarage des Fifa-Gebäudes. Sehr alt sieht Blatter darauf aus, vergrämt, die Lippen kneift er zusammen – bläulich gefärbt ist das Foto diesmal, und wieder erinnert es an die schweigsamen Gemälde von Hopper. Fast schon Kunst.


Einst Freunde, jetzt Feinde: Joseph Blatter und Michel Platini.

«Aber nochmals, was soll ich jetzt darüber denken?», sagt Luca, «ich kenne Edward Hoppers Werke nicht so gut wie du, aber ich weiss, dass sie von Melancholie zeugen, mit Menschen, die gedankenverloren irgendwo sitzen oder stehen, isoliert von der Welt. Das mag auf Blatter in seiner heutigen Situation zutreffen - aber Melancholie in seinem Fall, bitte!!!»

Bruno geht nicht darauf ein. Er erzählt vom allerletzten Bild, das Hopper gemalt hat, schwer krank war er damals schon, 1966, ein Jahr später starb er, es zeigt ein Schauspielerpaar, das sich auf der Bühne verneigt und verabschiedet, «Two Comedians» hat er es genannt. Und Bruno könnte sich vorstellen, dass einem Paparazzi vielleicht einmal dieses Bild gelingt, Michel Platini im Büro von Sepp Blatter, im Dämmerlicht stehen sie zusammen am Fenster, Abschied nehmend, und diesmal haben die beiden einen Whisky getrunken, sich zugeprostet. Nicht wie damals in diesem Frühjahr 2015, als Platini seinen einstigen Freund vom Rücktritt überzeugen wollte und Blatter gesagt hat: «Nein, keinen Whisky, aber ich höre dir zu.»

Luca steht im Bistro auf, lacht und sagt, es wäre ein Bild, das im neuen Fifa-Museum einen Ehrenplatz haben müsste.

Am Mittwoch das Hauptthema in der Tagesschau.

(«Espresso» war eine Kolumne, die zwischen 2014 und 2016 jeden Dienstag im «Tages-Anzeiger» erschien)
 

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