Karl der Grosse



Hier der Vulkan, dort der Buddha. Hier der Rastlose. Dort der in sich Ruhende. Hier der, bei dem der ganze Körper unter Strom steht, der auf und ab rennt und alles schreiend mit weit aufgerissenem Mund beschwört. Dort der, der manchmal seinen Backen aufbläst und die linke Augenbraue hochzieht, die Hände oft in seine Hosentaschen steckt und, weil er am Spielfeldrand nicht rauchen darf, seine Kaugummis zermalmt.

Hier Jürgen Klopp, dort Carlo Ancelotti.

Der Deutsche Trainer bei Liverpool aus England; der Italiener bei Real Madrid aus Spanien. An diesem Samstagabend treffen sie sich in Paris.

Es wird ein grosses Theater. Nicht nur das Spiel, das Duell um die Nummer 1 in Europa. Es ist auch ein (Schau)spiel mit Klopp und Ancelotti. Wie schon im Halbfinal der Champions League, mit Guardiola und Ancelotti. Mit diesen wunderbaren Bildern vor der Verlängerung. Wie Pep Guardiola, der ständige Tüftler, seine Spieler um sich scharte, auf der voll gekritzelten Taktiktafel gestenreich und fast irre erklärte, wie sie sich zu bewegen haben, den nächsten Eckball vielleicht fünf Zentimeter mehr nach innen schiessen sollen und der eine Spieler zehn Zentimeter mehr rechts zu stehen hat - einige Meter nebenan Ancelotti, der zu seinen Spielern sagte: «Spielt den Ball auf Benzema.»

Vertrauen: Carlo Ancelotti Karim Benzema.

Karim Benzema, der Franzose, wurde dann gefoult, Benzema schoss den Elfmeter zum 3:1, das Real in den Final brachte.

Wer ist dieser Carlo Ancelotti, der als einziger Trainer in allen fünf grossen Ligen Europas Meister wurde, mit Milan, mit Chelsea, mit Paris St-Germain, mit den Bayern, jetzt mit Real Madrid? Der von sich erklärt, er pflege nicht nur Beziehungen zu Spielern, sondern auch zu Menschen und das sei ein Unterschied, der auf einem Bauernhof in der Emilia Romagna aufgewachsen ist und als Kind selber noch Kühe melkte, das Essen liebt und dessen Autobiografie nicht nur ein Buch über Fussball und seine Karriere, sondern auch über das Kochen und die italienische Essenskultur ist. «Papa Bär» titelte der «Spiegel» einmal.

Vielleicht beschreibt ihn diese kleine Geschichte gut. Die Bayern waren, in seinem zweiten Jahr in München, nicht mehr glücklich mit ihm. Er sei etwas faul und zu lieb, die Spieler beklagten sich, die Trainings seien nicht intensiv genug. Die Entwicklung der Mannschaft stimme nicht, manche waren mit seinem Trainerteam unzufrieden, bei dem einige mit Ancelotti verwandt waren, den Fitnesstrainer nannten sie Fitness-Raucher, weil er überall paffte - über all das wollte Uli Hoeness, damals noch Präsident bei den Bayern, mit ihm reden. Er lud ihn in seine Villa hoch über dem Tegernsee ein.

Ancelotti brachte eine Kiste Barolo mit und viel Schinken aus seiner Heimat, sie verstanden sich wunderbar und redeten viel und tranken und genossen das Essen, es wurde ein langer Abend, und Ancelotti bewunderte in der grossen Küche der Familie Hoeness besonders den Pizzaofen, es sei einer wie sie ihn zu Hause in Italien auch hätten. Sie redeten über die schönen Seiten des Lebens und über das Essen und den Wein, sie sind beides Genussmenschen, und es wurde Mitternacht.

Nur über eines hatten sie an diesem Abend nicht gesprochen – über das, was Hoeness eigentlich wollte. Irgendwann, sagte Hoeness später einmal, sei es einfach zu spät gewesen für ernste Gespräche, sie hätten ein letztes Glas getrunken und sich herzlich verabschiedet.

Einen nächsten gemütlichen Abend am Tegernsee gab es nicht. Einige Monate später wurde Ancelotti bei Bayern München entlassen. Heute sagt Hoeness: «Er hat mich wirklich überrascht, ich hätte ihm das bei Real nicht zugetraut.» Und Ancelotti sagte kürzlich bei einem Talk in Spanien: «Das Profil des deutschen Spielers ist das eines deutschen Spielers. Nicht sehr kreativ. Ein Soldat.»

Umjubelt: Nach dem Meistertitel mit Real.

Ein Lieblingsfilm des Italieners ist «La vita ê bella» von Roberto Benigni, und im letzten Satz seiner Autobiografie schreibt er: «Im Ernstfall lieber Tortellini - aber am allerliebsten den Pokal.»

Am Samstag in Paris den nächsten? Es wäre der sechste in der Champions League, den vierten als Trainer, was noch nie einem Coach gelang, zweimal (mit Milan) gewann er die Trophäe auch als Spieler. «Fussball ist wie Essen mit Freunden: Je mehr man isst, umso hungriger wird man», auch das steht in seiner Biografie.

«Carlo V.» schreiben die spanischen Zeitungen, Karl, der Grosse, er ist es schon längst, Carletto, das Karlchen, wie sie ihn nennen. Er möge einfach, was er mache, sagt er über sich. Dazu gehört eben der Genuss. Er war zwischendurch Trainer in Neapel, das sei für ihn die beste Stadt der Welt. «Ich trainierte nachmittags und fuhr dann mit dem Boot nach Capri, um dort zu Abend zu essen.»

In Neapel holte er keinen Titel.

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