Im Meisterbus



 

In einer Woche, theoretisch, könnte es so sein. Oder dann später. Vielleicht gar nach dem Spiel in Basel am 1. Mai, ausgerechnet in Basel. Es ist kaum vorstellbar, dass der FC Zürich nicht Meister wird, zum ersten Mal seit 2009, es wäre der 13. Titel.

Und sollte es in Basel passieren, wie wird die Heimfahrt sein im Meisterbus? Wie damals im Mai 2009, nach dem 1:0 in Bellinzona? Mit dem Song von Bruce Springsteen, mit einem Trainer, der nach der Ankunft im Letzigrund selber den Abfall im Car aufräumte. Mit der spontanen mitternächtlichen Feier auf dem Balkon des Volkshauses. Eine Erinnerung an damals.

Challandes wollte gar nicht

«I'm working on a dream», das Lied von Bruce Springsteen, wurde in
diesem Frühjahr 2009 beim FC Zürich immer wieder gehört, in der Kabine, im Car bei Reisen zu Spielen, es sollte das Motto sein – für einen Traum arbeiten. Und an diesem Sonntagabend Ende Mai lief es wie auf einem Endlosband, immer wieder, «I’m working on a dream», und alle sangen mit, laut, fröhlicher, immer lauter, immer fröhlicher, tranken viel und sangen falsch, feierten und jubelten, die Fahrt war lang.

Ein Car auf dem Weg zurück von Bellinzona nach Zürich, drinnen sassen, standen Spieler, Trainer, Betreuer, Funktionäre des FC Zürich, alle trugen ein T-Shirt. «Das Dutzend ist voll», stand vorne darauf geschrieben, der 12. Meistertitel in der Klubgeschichte des FCZ sollte es symbolisieren. Der Traum war Wirklichkeit geworden. «Meischter, Meischter, Schwiizer Meischter», immer wieder, und dann eben, pausenlos: «Working on a dream.»

29. Mai 2009: Der letzte Schritt zum Titel in Bellinzona (Video Youtube)

Der Boss als musikalischer Begleiter auf dem Weg zum grossen Ziel, aber ein anderer Boss sass auch mittendrin in der Jubelgemeinde, strahlte, sein Shirt war pflotschnass, er sang mit, er redete, er lachte, er gestikulierte, er genoss, und vielleicht kam ihm immer wieder in den Sinn, wie Stunden zuvor im Stadio Communale in Bellinzona sein Torhüter Johnny Leoni gesagt hatte, den Kopf an seine Schulter gelegt, wie ein Kind seinem Vater, die Augen zusammengekniffen: «Danke, Trainer, Danke.»

Ein umjubelter Bernard Challandes, der 58-jährige Mann mit den
vielen Gesichtern. Der «nette Löwe» hatte er einmal gesagt, sollte ein Porträt über ihn heissen. 90 Minuten mit ihm an der Seitenlinie sind immer ein Schauspiel, er flucht, er leidet, er steht auf, er rennt umher, rudert mit den Armen, gestikuliert, schimpft mit dem Linienrichter, verwirft die Hände zum Schiedsrichter, setzt sich wieder auf die Bank, nur kurz allerdings, treibt, längst wieder fuchtelnd, die Spieler erneut an, er ist ein Vulkan.

Jubel in Bellinzona: Trainer Challandes, Assistent Ladner, Sportchef Bickel.

Aber er kann auch ganz anders sein, liebenswürdig, fast etwas tollpatschig manchmal, oder knorrig, er erinnert manchmal etwas an den Schauspieler Jean-Luc Bideau aus den Filmen von Tanner und Goretta. Und er ist besessen vom Fussball, kann stundenlang darüber reden, diskutieren, wird laut und energisch, aber lacht auch immer wieder, herzhaft, auch über das, was er eben gesagt hat, weil er auch sich selber nicht immer ernst nimmt, vor allem nicht zu wichtig. «Menschlich, emotional, aber auch bescheiden», beschreibt ihn Fredy Bickel, sein Sportchef.

Bickel hat grossen Anteil, dass Challandes zwei Jahre zuvor als
Trainer zum FCZ gekommen war. Es ist eine Geschichte, die viel über den Menschen Bernard Challandes aussagt. «Bernard, bitte schlaf doch noch einmal darüber», bat Bickel damals am Telefon nachdem ihm Challandes geantwortet hatte: «Ah bon, mais, non, je pense, non, non . . .»

Bickel hatte ihm eben mitgeteilt, dass sich der FCZ für ihn als Trainer und Nachfolger von Lucien Favre entscheiden hatte, doch Challandes zögerte, wollte dem FCZ absagen.

Er war damals in den Ferien auf einer kleinen griechischen Insel, Bickel rief am anderen Morgen wieder an, Challandes sagte wieder «Non, je pense, non ...», Bickel gab aber nicht auf, sagte, er würde in ein paar Stunden nochmals anrufen. Seinem Chef, Präsident Ancillo Canepa, hatte er längst gesagt, es komme gut mit Challandes.

Challandes ging auf der griechischen Insel von seinem Hotelzimmer an den Pool, seine Frau Anouk und sein Sohn Mehdi sonnten sich dort. «Ich habe dem FCZ abgesagt», sagte ihnen Challandes – und die Reaktion seiner Familie erstaunte ihn. Frau und Sohn waren betrübt und irgendwie fassungslos. «Pourquoi? Das kannst du doch nicht, das ist doch eine grosse Chance für dich, du musst es machen.»

Sie begannen zu diskutieren, Challandes spürte, dass ihn seine Familie unterstützte, bereit war, das Risiko (er hatte damals einen sicheren Job als Nachwuchstrainer im Fussballverband) einzugehen und ihn nach Zürich zu begleiten. Er kam von seinem Entscheid ab. Bickel meldete sich wieder, Challandes sagte jetzt zu. «Aber alleine hätte ich das nie gemacht, meine Familie ist mir wichtig.»

Bernard Challandes, der Vulkan.

Challandes ist ein Familienmensch, und so wirkt er auch als Trainer, er hört auf seine Assistenten oder seinen Sportchef, diskutiert mit ihnen, und es ist ihm wichtig, was sie sagen, er ist auch bereit, eine eigene Meinung zu hinterfragen oder sich umstimmen zu lassen. Der FCZ ist 2009 auch Meister geworden, weil es eine Gruppe mit einem grossen Zusammenhang ist, eine Mannschaft mit herausragenden Individualisten, mit verschiedenen Typen aus ganz verschiedenen Kulturen, Tihinen, der Finne, Chikhaoui, der Tunesier, Alphonse, Hassli, die Franzosen, Okonkwo, der Nigerianer, aber ein Team, das sich hervorragend ergänzt, auf dem Platz, aber auch daneben.

Und diese Geschichte sagt eben auch viel über Challandes und sein Denken aus: Der Car an jenem Sonntagabend im Mai 2009 war angekommen beim Letzigrund in Zürich, es war inzwischen dunkle Nacht und «Working on a dream» lief immer noch, die Spieler gingen rasch in die Garderobe um sich umzuziehen für die erste spontane und mitternächtliche Feier auf dem Helvetiaplatz, tausende warteten dort schon und bejubelten dann in einer langen Nacht ihre Spieler, die sich auf dem Balkon des Volkshaus zeigten.

Canepa, der Präsident, und Bickel, der Sportchef in Bellinzona.

Im Car sah es aber wie nach einer Schlacht aus, Dosen, Flaschen, Zeitungen, Pizzakartons lagen verstreut am Boden und überall, ganz vieles, fürchterlich soll es ausgesehen haben. Doch wer lief von Sitzreihe zu Sitzreihe und stopfte den ganze Abfall in einen grossen Sack?

Bernard Challandes. «Jemand muss es doch machen, warum nicht ich?» sagte er. Es war für ihn selbstverständlich.

(Dieser Text erschien erstmals 2009 in einem Buch; er ist leicht bearbeitet)
 

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