Vom Geist und chiflen

Blog Nummer 167

 

Sie haben wieder einmal abgemacht, zu ihrem Espresso im Bistro, Bruno, der Werber mit den ergrauten Haaren, und Luca, der Architekt, und Bruno sagt, kaum haben sie sich gesetzt, am einzig freien Tisch an diesem Morgen, die Leute kommen wieder und fühlen sich freier, er spüre einfach nichts von diesem Geist.

«Geist?» fragt Luca, von welchem Geist sprichst denn du? Es ist noch früh am Morgen, und er glaubt kaum, dass er ein religiöses Gespräch beginnen will, das wäre verwunderlich bei Bruno.

Er rede vom olympischen Geist, sagt Bruno, an diesem Freitag würden ja diese Spiele in China beginnen, Winterspiele in einem Land ohne Schnee, und sowieso in einem Land, das den Gedanken vom olympischen Geist mit Füssen tritt, und Bruno fragt:

Wirst du schauen?

Luca nimmt einen ersten Schluck vom Espresso, schwarz wie immer und inzwischen auch ohne Zucker, er will drei Kilo verlieren, und weicht aus: Eigentlich nicht, aber vielleicht doch, allerdings sei es ja meistens mitten in der Nacht, und ...

... Schaust du jetzt oder nicht? Wir sollten eigentlich nicht schauen, dieses Schauspiel boykottieren, sagt Bruno.

Stimmt, sagt Luca, eigentlich schon, eigentlich müsste die ganze Welt wegschauen, aber am Sonntagmorgen um vier, da werde er den Wecker stellen.

Aha doch! Ich weiss warum, sagt jetzt Bruno, er lächelt, bestellt einen zweiten Espresso. Vielleicht, ja vielleicht schaue er ja auch, den Feuz und den Odermatt wolle er sehen, das schon, dann können wir ja nachher wieder schlafen, es ist Sonntag, und ob in Peking oder in Kitzbühel, die Abfahrt der Männer, das ist einfach speziell, weisst du noch, vor genau 50 Jahren, fast auf den Tag genau, da war es doch bei uns auch noch dunkle Nacht...

... und Russi vor Collombin, sagt Luca, die goldenen Tage von Sapporo.

Bruno nickt, ja, ja, damals, damals war alles anders, da haben sie doch den Schranz heimgeschickt, weil er gegen die Amateurregeln verstossen haben soll, und wahrscheinlich hätte er gewonnen, er war ja der grosse Favorit gewesen, und aus Russi wäre vielleicht nicht das geworden, was er heute ist und der Ogi später vielleicht nicht Bundesrat. Also: schaust du jetzt?

Ja! Luca lacht, sicher schaue ich, Odermatt vor Feuz, stell dir vor, ich würde das verpassen. Und ja, vielleicht, Curling an Olympischen Spielen, das sei immer spektakulär, erinnerst du dich nicht, vor vier Jahren, diese beiden Schweizer, die waren einmal ein Liebespaar und wurden dann ein Curlingpaar und haben miteinander auf dem Eis gchifled, man konnte es hören am Fernsehen, Krach hatten sie und dann Silber gewonnen, grossartig war das, fast ein Theater.

Ich sehe, sagt Bruno, du kommst ins Fieber, und wenigstens die Athleten und Athletinnen haben es ja verdient, dass man ihnen zuschaut und mit ihnen fiebert, und es ist ja nicht wichtig, ob sie das nun in China tun oder irgendwo, es ist Olympia, alle vier Jahre, und der olympische Geist hat sich sowieso schon lange verkrochen, weil er nichts mehr zu tun haben will – mit diesem Zeitgeist heute.

«Espresso» mit Bruno und Luca war von 2014 bis 2016 eine Kolumne im Tages-Anzeiger.
 

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