Grossvater, 1968 und jetzt

Es war kürzlich im Fitnesscenter, an irgendeiner Maschine, mit Musik in den Kopfhörern, damit es leichter scheint, was schwer ist, eine zufällige Musikauswahl, und da hörte ich «Grossvater» von der österreichischen Band S.T.S. Das schöne Lied hat mich immer wieder berührt, aber diesmal besonders, es war in den Tagen, als dieser Putin nur drohte und wir uns noch nicht vorstellen konnten, dass es tatsächlich passiert. In diesem Lied, in dem es um die Liebe zum Grossvater geht, heisst es, gesungen von Gert Steinbäcker:

«Wann du vom Kriag erzh't host
Wie du am Russen Aug in Aug gegenüber g’standen bist
Ihr hob's euch gegenseitig an Tschick anboten
Die Hand am Obzug hot zittert vor lauter Schiss»


Grossvater von S.T.S. (Youtube)

Ich hörte das Lied, drückte auf «repeat» und hörte es nochmals, und dachte an meinen Grossvater, der mir so nahe war und der so vieles beeinflusste in meinem späteren Leben. Wir nannten ihn Büsiopa, weil er Katzen so liebte.

Ich erinnerte mich, wie ich ihn immer wieder besuchte, er wohnte ganz in unserer Nähe, er arbeitete bei der Post, hatte oft Frühdienst, und wenn ich von der Schule kam, war er zu Hause, sass am Tisch in der Wohnstube und wartete auf mich.

Zusammen mit meinem Grossvater.

Er hat mich gelehrt, Zeitungen zu lesen, denn er brachte immer Zeitungen nach Hause, den Tagi, die NZZ, den Sport, den es damals noch gab, und einmal in der Woche den «Tip», ein Sportmagazin, und darin waren jeweils grosse Vorschauen auf die nächsten Fussballspiele, auch Tipps, wie man tippen sollte, und mein Grossvater füllte jeweils die Tippzettel aus, und ich sagte ihm, da schau, da stehen die Prognosen, diese Mannschaft wird gewinnen. 9-1-1 heisse der Tipp, Heimsieg, Unentschieden, Auswärtssieg, also diese Mannschaft gewinne sicher, deshalb Tipp 1, schreib es, du gewinnst damit sicher viel Geld. Er lachte nur und sagte mir, nicht immer gewinne die Mannschaft, die eigentlich gewinnen müsste.

Er brachte mir den Sport näher und besonders den Fussball, ich durfte mit ihm jeweils zu den Spielen des FC Küsnacht auf dem Heslibach am Sonntagmorgen, damals in der 1. Liga. Wir standen oft hinter dem Tor und sahen Karli zu, Karl Grob, und mein Grossvater sagte, der werde einmal ein Grosser, und er wurde es, einer der besten Torhüter, den die Schweiz je hatte.

Ich weiss noch, ich habe ihn damals, ich war kein Kind mehr, aber immer noch sehr jung, auch noch oft besucht, 1968 war es, er wurde pensioniert. Ich las bei ihm weiterhin alle Zeitungen und hörte Radio, 12.30 Uhr, die Nachrichten bei Beromünster, und sass mit ihm vor dem Fernseher, schwarz-weiss damals noch, die ersten Farben kamen erst einige Monate später.

Es war im August – und wir alle hatten grosse Angst bekommen, ich zum ersten Mal in meinem Leben, die Angst vor einem grossen Krieg. Eine halbe Million sowjetische Soldaten waren in der Tschechoslowakei einmarschiert, vor unserer Haustür, so schien es, Extraausgaben wurden verteilt. Und mein Grossvater sagte, es sei gefährlich; er hatte, als Kind, den ersten Weltkrieg erlebt, und später den zweiten, und jetzt, in diesem Sommer 1968, drohte wieder Schlimmes in unserer Welt.

Der Prager Frühling.

An all das musste und muss ich denken, bei diesem Lied «Grossvater». Es heisst darin auch:

«Grossvota, kannst du net obakumman
Auf an schnell’n Kaffee
Grossvota, ich mecht da sofül sog’n
Wos i erst jetzt versteh’
Grossvota, du worst mei erster Freind
und des vergi's i nie, Grossvota»

Mein Grossvater wäre im nächsten Jahr 120. Er starb früh, 1977. Was denkt er da oben im Himmel über diese Welt? Nie hätte auch er gedacht, dass es nochmals so weit kommen könnte, nicht weit weg von uns diesmal, und nicht irgendwo entfernt, sondern vor unseren Augen, mit ständigen Push-Nachrichten am Handy, ein Krieg in Europa fast live am TV.

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