Ein Anruf von Martin Suter
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Am Anfang stand eine Telefonnummer, eine, die ich nicht kannte, und da bin ich vorsichtig, ausser es leuchtet «anonym» auf, da weiss ich, wer es ist. Ich nahm trotzdem ab, es war im Dezember 2020. «Hier ist Martin Suter», hörte ich, und die Stimme war so, wie Martin Suter spricht, bedächtig, freundlich, die Worte und Sätze sorgsam wählend, ich stellte mir ihn vor, zu Hause im Anzug, mit Weste und Krawatte und dem Handy in der Hand, denn so ist das Bild, das wir von ihm haben, ein eleganter Mann, ein Bohème unter den Schriftstellern.
Aber weshalb ruft mich Martin Suter an, der Bestsellerautor, dessen Bücher immer sechs- und siebenstellige Auflagen erreichen, der so vieles macht, Romane, Krimis, Kolumnen, Theaterstücke, Drehbücher schreibt? Persönlich kannte ich ihn nicht, aber gelesen hatte ich fast alles von ihm, und auch Mundharmonika spielend habe ich ihn erlebt, auf der Bühne zusammen mit Stéphane Eicher, für den er wunderbare poetische Songtexte schreibt - Martin Suter, warum nur?
Und erst recht sprachlos war ich, als er mir am Telefon im dritten oder vierten Satz sagte, ich könne ihm vielleicht bei seinem neuen Buch helfen. Und ganz still geworden bin ich wohl einen Moment, als er mir von der Idee erzählte, die aber noch geheim bleiben soll: Ein Buch über Bastian Schweinsteiger, einer der ganz Grossen im deutschen Fussball, wolle er schreiben, er sei eigentlich schon mittendrin.
Suter und Fussball, Suter und eine Biografie, Suter und Schweinsteiger?
Wir trafen uns bald darauf bei ihm zu Hause am Zürichberg, noch nie hatte ich eine genauere Wegbeschreibung zu einem Ort bekommen, es war fast schon ein kleiner Roman. Er trug tatsächlich einen dunklen Anzug und ein weisses Hemd, nur keine Weste und Krawatte; der Tee, den er selber zubereitete, war einer der besten Tees, den ich je getrunken habe. Wir waren sofort per du, sprachen über vieles, und zuletzt auch über das Buch.
Ein biografischer Roman solle es werden, es reize ihn, der schon alle Formen des Schreibens ausprobiert hatte, und seine Frau Margrith habe ihn darin bestärkt, einmal so etwas zu machen. Basti, er sagte immer nur Basti, nie Bastian, habe er schon einmal getroffen. Es habe gepasst zwischen ihnen, vom ersten Moment an. Sie sollen sich begegnet sein wie zwei, die sich schon lange gut kennen, und nach zehn Minuten sagten sie sich: «Komm, das machen wir.» Sie fanden sich, einer, dem Fussball nicht viel bedeutete, und einer, der bisher kaum Bücher las.
Ich hatte Bastian Schweinsteiger nie persönlich getroffen. Nur erlebt, eigentlich seine ganze Karriere als Fussballer, in verschiedenen Momenten, immer wieder in München, in London, in Rio, in Madrid, in Mailand, in vielen Stadien und nach dem Spiel bei Medienkonferenzen. Einmal, als Bayern im Wembley die Champions League gewonnen hatte, nachher im Bankettsaal des Hotels, wie er weit nach Mitternacht zusammen mit seinem Trainer Jupp Heynckes auf der Bühne ausgelassen tanzte, ein rot-weisses Tuch umgebunden.
Martin Suter bei der Arbeit. (Foto von Website martin-sutter.com) |
Genau über solche Augenblicke solle ich ihm erzählen, sagte Suter damals, und über alles sonst, was mir noch in den Sinn kommt, ich irgendwo finde würde, auch über andere, die in Schweinsteigers Leben eine Bedeutung hatten; Neureuther, gegen den er Skirennen gefahren war, über seine vielen Trainer, Gegenspieler, über Zidane, was ich sehr gerne machte, Cantona, einfach meine Erlebnisse, auch darüber, als die WM 2006 in Deutschland noch ein Sommermärchen war.
Ich suchte alte Texte, stöberte im Archiv, schrieb, ahnungslos, ob Martin Suter damit überhaupt etwas anfangen konnte, es wurden zuletzt viele zehntausend Zeichen lange Texte. Nie hätte ich gedacht, mich einmal so mit Bastian Schweinsteiger zu beschäftigen, bestimmt einem der besten Fussballer der Welt während Jahren, sein Leben hatte mich dennoch nie derart interessiert. Und jetzt schrieb ich über ihn, in dem ich eigene Texte ergänzte, ich versuchte mich zu erinnern an manches und suchte Texte, die Martin Suter vielleicht dabei helfen, eine Biografie zu schreiben, die auch ein Roman sein soll.
Und in diesen Tagen kommt nun das Buch heraus, «Einer von euch» ist der Titel, edel sieht das Buch aus, wie alle im Diogenes-Verlag, mit einem strahlenden Bastian Schweinsteiger, dunkler Anzug, weisses Hemd, keine Krawatte auf dem Umschlag. Eine Heldensaga und auch eine Liebesgeschichte soll es sein, sagt Suter heute, und während er bisher in seinen Büchern wahre Geschichten über fiktive Personen schrieb, ist es diesmal eine wahre Geschichte über eine wahre Person, oder wie es Suter ausdrückt: «Das Was ist das Wahre, das Wie ist die Fiktion.»
Das Buch, 378 Seiten, noch nie hat Suter ein dickeres geschrieben, beginnt im ersten Kapitel mit einer Szene wie der junge Bastian, sieben oder acht war er, vom Mittelkreis aus losstürmte, aber in die falsche Richtung, dorthin, wo der eigene Torhüter stand, und er ein Tor schoss, ein Eigentor. Das war so. Wie es aber hätte sein können, mit den Details, dem verdutzten eigenen Torhüter und seinem Zeigefinger an der Stirn - das ist Suters Sicht, frei gewählt.
Suter hat für das Buch mit vielen Leuten gesprochen, sich in die Welt des Fussballs vertieft, hunderte Szenen auf Youtube angesehen, damit er auch alles richtig, wahr beschreiben konnte, wenigstens die Fakten, diese dann aber so verwendet, wie er sie sich als Romancier auch vorstellen könnte, wahr oder fast-wahr.
Er kannte Basti Schweinsteiger vorher nicht, kannte nur den Namen, heute sagt Suter, Basti sei ein Jetzt-Mensch, einer, der im Moment lebe, und das verbinde sie, auch wenn er fast genau doppelt so alt wie Schweinsteiger sei. Aber auch er habe schon früh in seinem Leben erkannt, so um die 30 sei er damals gewesen: «Man kann nichts verpassen im Leben.»
Ich hätte etwas verpasst, damals im Dezember 2020, wenn ich den Anruf der unbekannten Nummer nicht entgegengenommen hätte. So freut mich die Seite 372 im Buch besonders.
Mehr über Hintergründe und Entstehung des Romans auf der Website martin-suter.com
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