300 Millionen für eine alte Tanne

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Zum Jahresanfang eine Kolumne aus dem Jahr 1997. Schon damals waren diese wahnwitzigen Transfersummen im Fussball ein Thema, auch wahnwitzige Zahlen in Verträgen, die Spieler bei einem frühzeitigen Weggang teurer machen sollten als die wertvollsten Kunstwerke der Welt.

Und inzwischen ist alles noch verrückter: Kürzlich hat der hochverschuldete FC Barcelona den Vertrag mit Pedri bis 2026 verlängert und im neuen Vertrag eine Ausstiegsklausel von einer Milliarde Euro festgelegt. Pedri, bürgerlich Pedro Gonza'ales Lo'pez, umworben von vielen Klubs, ist erst 18.

Eine Milliarde! Die Summe ist auch eine Folge des spanischen Arbeitsrechts, in dem geschrieben steht, dass alle immer das Recht haben müssen, aus einem bestehenden Arbeitsvertrag austreten zu können.



300 Millionen für eine alte Tanne


Ich griff zum Telefon und rief meinen Freund an, der in dieser - und nur in dieser Sache, warum bräuchte ich sonst einen? - auch mein Manager ist. 
«Livio!», sagte ich, ziemlich forsch, «es geht nicht. Du musst diesen Vertrag sofort rückgängig machen. Ich halte diese Belastung nicht aus, unmöglich, ich zittere ständig, denk nur noch an das eine.» 

Livio, ich spürte es aus der Ferne, grinste in seinem Anwaltsbüro nur, er schien gar nicht richtig zuzuhören, war wohl in andere Akten vertieft.

- «He, es ist mir todernst, es geht nicht. Du musst handeln.»

- «Was heisst handeln?» unterbrach er mich, etwas unwirsch tönte er, «du hast unterschrieben, und du weisst, was das heisst.»

- «Ja schon, aber du hast ja seinerzeit selber gesagt, der Vertrag sei unmoralisch ...»

- «... unsittlich, meinst du. Doch Unterschrift ist Unterschrift, damit musst du nun leben.»

Und Livio, den ich sonst sehr mag, lachte am Telefon ziemlich hämisch.

- «Bitte hör auf, es ist ein sehr belastendes Problem für mich, ich muss dich treffen, sofort!»

Er schien meine Not nun begriffen zu haben. Wir verabredeten uns im gleichen Restaurant am See wie damals. Stolz hatte mir Livio an jenem schönen Sommerabend den Vertrag zur Unterschrift vorgelegt, den er, wie er masslos übertreibend sagte, nach zähen und langen Verhandlungen mit dem FC Küsnacht ausgehandelt hatte. 

Wir hatten dazu einen Rioja bestellt, den teuersten auf der Karte, später noch eine zweite Flasche, auch exzellenten Käse, denn der Moment war feierlich und auch historisch, auch wenn das in diesem Moment nur ganz wenige wussten. Der Präsident und der Kassier von Küsnacht hatten bereits unterschrieben. 

«Vertragsdauer», stand auf dem A4-Blatt, handgeschrieben: «Ein Jahr, bis zum 31. Dezember 1997.» Und dann gab es noch zwei Punkte: «a) Senioren-Mitgliederbeitrag 150 Franken.» Und Punkt b), und der war der Entscheidende: «Wenn Fredy Wettstein den FC Küsnacht vor Ablauf des Vertrages verlassen will, dann hat ein neuer Klub als Transfersumme 300 Millionen Schweizer Franken zu zahlen.» Damit niemand auf die Idee käme, es wäre ein Schreibfehler, war die Zahl auch noch ausgeschrieben: Dreihundertmilllonenschweizerfranken.

Der teuerste Fussballer der Welt....

Ich war, zu diesem Zeitpunkt, der teuerste Fussballer der Welt, teurer als der Brasilianer Ronaldo, teurer als Zidane, darauf war ich besonders stolz, und auch Milatovic, mit dem Real Madrid einige Tage zuvor einen Vertrag bis 2002 und einer vorzeitigen Ausstiegsklausel von 217 Millionen Franken abgeschlossen hatte.

Dreihundert Millionen! Es sollte, natürlich, nur ein Gag sein, aber weil Freunde nicht immer freundlich sind und anderen erzählen, was eigentlich gar niemand wissen sollte, erfuhr die Welt davon. Zuerst war es nur eine kleine Randnotiz im Dorfblättchen, nicht ernst gemeint, doch zuletzt stand es gar in der rosaroten «Gazzetta dello Sport» in Italien: «300 Millionen», das heisst, die Zahl war noch viel imposanter: «28 Milliarden», in Lire.

- «Livio», sagte ich, wir sassen jetzt wieder im Restaurant am See, aber diesmal nur einen Espresso vor uns, und er musste nun spüren, dass es mir ernst war, denn ich war bleich und genervt: «Livio, bitte sprich sofort mit Küsnacht, mach, dass wir diesen Vertrag wieder auflösen können.»

Und ich erzählte ihm von meiner Verzweiflung. Wie die arthrosegeschädigten Knie zitterten, nicht vor Schmerz, denn der war schon lange da, sondern wegen der psychischen Belastung, wie ich einmal beim Training gar erbrechen musste, wie ich fast immer wie ein Tolpatsch im Tor stand, was auch schon früher vorgekommen sein soll, ich war oft der Tor im Tor, aber jetzt war es dramatisch, stand ich bockstill auf dem Rasen, reagierte nicht zu spät, nicht falsch, sondern einfach gar nicht, stand wie eine tief verwurzelte 100jährige Tanne zwischen den Pfosten.

«Vegetative Dystonie», sagte der befreundete Arzt, den ich sehr beunruhigt konsultierte, «dem nervlichen Stress nicht gewachsen», heisst das übersetzt, und jetzt zeigte Livio, dass er wirklich ein guter Freund ist:

- «He, hör doch, das ist für dich die Gelegenheit: 46 bist du bald, dein Platz im Tor der Senioren ist gefährdet, habe ich gehört. Ich habe eine Idee. Ein guter Bekannter von mir, der ist im Vorstand des FC Thalwil. Die sollen doch Küsnacht anfragen ob sie dich freigeben würden, und ...

- ... ich unterbrach meinen Freund und in dieser einzigen Sache auch meinen Manager: «Ich sage dann denen in Thalwil: Nein, ich will und kann nicht mehr. Ich höre mit dem Fussball auf.»

- «Genau! Du verstehst ja», sagte Livio. «Und stell Dir die Schlagzeilen in den Zeitungen vor: Erdrückt von 300 Millionen: Der teuerste Fussballer der Welt macht Schluss.»

Wir bestellten jetzt wieder eine Flasche Rioja, auch diesmal den besten. Auf meine Rechnung.

Der ominöse Vertrag.

(Diese Kolumne erschien am 25. Juni 1997 in der SonntagsZeitung. Sie ist leicht bearbeitet.)

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