Als Zorro im Letzigrund

Vielleicht, weil der Blick auf die Tabelle der italienischen Serie A zeigt: Der SSC Napoli steht zuoberst, die Stadt träumt vom ersten Meistertitel seit 1990, seit den schönen Zeiten mit dem vergötterten Diego Maradona.

Vielleicht, weil ich eigentlich am Samstag in den Letzigrund wollte, zum Klassiker zwischen dem FCZ und FCB, doch dann war es mir nach vier spätsommerlich warmen Wochen auf einer Insel zu kalt, und wenn es in Zürich kalt ist, dann ist es im Durchzug-Letzigrund immer noch etwas kälter.

Aber Napoli und der FCZ. Da ist eine Erinnerung an ein Spiel und an eine Kolumne, damals im Februar 2019. Und daran, wie sich der Schriftsteller Luciano De Crescenzo, Napolis Stadtpoet, freuen würde über die Auferstehung seines Klubs. Er sass oft im Stadio San Paolo, das inzwischen Stadio Diego Armando Maradona heisst und in dem bald eine lebensgrosse Statue des Argentiniers stehen wird. Luciano De Crescenzo starb im Sommer 2019, 90-jährig.

Und das war die Kolumne damals, leicht abgeändert jetzt.


Zorro im Letzigrund


Nach langer Zeit treffen sich Bruno, der Werber mit den ergrauten Haaren, und Luca, der Architekt, wieder einmal zu einem Espresso in ihrem Bistro im Zürcher Seefeld, wie sie das früher jeden Montagmorgen gemacht haben. Die immer fröhliche und auch lustige Berlinerin hinter der Bar begrüsst sie laut und so, als wären die beiden noch jeden Morgen hier. «Wie immer, oder?» ruft sie laut durch das Lokal, kaum sind die beiden eingetreten, und bevor sie sich richtig gesetzt haben, stehen die Espressi vor ihnen. Die beiden sind auffallend gut gelaunt, die Gipfeli, die ihnen die Berlinerin anbietet, wie immer, verweigern sie, wie immer, und deuten mit ihren Händen auf ihre kleinen Rundungen.

Das Erfolgsbuch von Luciano De Crescenzo.

Bruno greift bald in seine Vestontasche, er ist wie meistens gut gekleidet, einen Veston trägt er fast immer, er nimmt ein weisses Couvert hervor und steckt es Luca hin: «Da, schau!» Stolz zeigt er sein Ticket für das Spiel des FC Zürich gegen Napoli, im Sektor C, 70 Franken habe er bezahlt. Und Bruno erzählt, wie er an diesem Morgen bei der FCZ-Geschäftsstelle am Stauffacher angestanden sei, morgens um sieben schon, bei bitterer Kälte, es schneite leicht. Die Warteschlange sei lang gewesen, aber er habe eines gekriegt, als einer der Letzten. 24 000 Zuschauer werden am Donnerstag im Letzigrund sein, das Stadion ist ausverkauft.

Jetzt schmunzelt Luca. Er habe auch überlegt, sich um ein Ticket zu kümmern, doch dann sei ihm ein Buch in den Sinn gekommen, das er vor langer Zeit einmal gelesen habe, «Also sprach Bellavista» des italienischen Schriftstellers Luciano De Crescenzo, es wurde später auch verfilmt. Es ist das erste Erfolgsbuch des Römers, der ein Manager bei IBM war, ehe er zu schreiben begann und nachher auch Filme drehte, selber als Schauspieler auftrat und im Fernsehen moderierte. Es ist sehr unterhaltsam, mit viel Humor, sehr philosophisch, wie immer bei ihm, ein wunderbares Buch über Neapel, Liebe, Freiheit und Anarchie, mit vielen Geschichten und Anekdoten aus dem Alltag dieser verrückten Stadt.

De Crescenzo im Stadion von Neapel.

Eine handelt von Zorro, dem König der Einbrecher, der es, irgendwie,  immer schafft, umsonst zu den Spielen der SSC Napoli zu kommen. Er sagt von sich, wie Papillon der König der Ausbrecher genannt werde, sei er, Zorro, der König der Einbrecher. Er gibt sich beispielsweise als offizieller Begleiter der Schiedsrichter aus, holt diese am Bahnhof ab, kommt so ungehindert ins Stadion und regt sich dann auf, dass für ihn auf der Ehrentribüne kein Platz reserviert ist.

Ein anderes Mal hat Zorro einen Krankenwagen geklaut, ist mit heulenden Sirenen zum San Paolo gefahren, sie haben ihm sofort das grosse Tor geöffnet, und im Krankenwagen sass auch seine ganze Familie, die er so ebenfalls ins Stadion schleusen konnte. «Es gibt noch andere Beispiele, Zorro, spanisch für Fuchs, ist bei jedem Spiel dabei», schreibt De Crescenzo, der sich Fussballspiele am liebsten zu Hause anschaut, weil man, so sagt er, die schönen Dinge der Welt alleine geniessen soll.

«Was willst du mir damit sagen?», fragt Bruno. Luca schaut ihn an, die Berlinerin hat inzwischen zwei weitere Espressi an den Bistrotisch gebracht, ungefragt, aber nicht ohne einen Spruch zu machen, nur das Gipfeli bietet sie jetzt nicht mehr an, und Luca sagt, verdrückt dabei sein Lächeln: «Denk einfach an mich, wenn du am Donnerstag auf der Tribüne im Letzigrund die Sirene eines Krankenwagens hörst.»

Eines allerdings wird Luca nicht versuchen. Einmal haben sie Zorro in Neapel im Stadion erwischt, er lag zusammen mit einem seiner Kumpel in der Kühlzelle eines Algida-Eislasters. Halb erfroren seien sie gewesen, und man hätte sie eine halbe Stunde lang in die Sonne stellen müssen, um sie wieder aufzutauen.

Für solche abenteuerliche Versuche, gratis in den Letzigrund zu einem Spiel zu kommen, ist es hier in Zürich zu kalt und nass.

(Erstfassung Tages-Anzeiger, 12.2.2019)
 

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