Bach in Arbon


Als es war wie früher. Masken nur Fasnacht bedeuteten. Corona nur ein Bier. Testen ein Stress in der Schule. Impfen unangenehm, aber nötig, wegen Pocken oder Starrkrampf oder Mumps, manchmal.

Es war so, an diesem Sonntagabend in Basel im St.-Jakob-Park, vor über 30 000, «Fratelli d’Italia», mit Inbrunst gesungen, und «Hopp Schwiiz», azzurra-blau und rot-weiss Schulter an Schulter im Stadion, Fussball nicht mehr nur für Geister.

Oder in Arbon am Bodensee, das Summerdays-Festival, 9000 am Freitag, 12 000 am Samstag, geimpft, genesen oder getestet. Sie kamen, weil sie endlich, endlich wieder kommen durften, um Musik zu hören, Party zu feiern, einfach zu sein, zu geniessen, sich zu treffen, gemeinsam den Tag und die Nacht zu verbringen, an einem wunderbaren Ort, den See, der manchmal wie ein Meer ist, vor Augen, die Sonne, später die Sterne über den Köpfen, es war friedlich, und als die meisten erst weit nach Mitternacht nach Hause gingen, hörte man wieder sagen, dass es so gut tat, einfach gut, nur gut, weil wir alle so lange nicht mehr durften.

Viele Musiker und Bands waren da, ganz unterschiedliche, Jethro Tull mit Ian Anderson, 74, und seiner Querflöte, seit 1967 spielen sie, auch diesmal eine verjazzte Version von Johann Sebastian Bachs Bourrée in e-Moll; Büne Huber, 59, mit den Patent Ochsner, und alle sangen laut mit bei der «W. Nuss von Bümpliz» und besonders bei «Scharlachrot»; und Peter Maffay, 72, musste zum hunderttausendstenmal über sieben Brücken gehen, und natürlich «Es war Sommer» an diesem Tag im Herbst, als es doch noch Sommer wurde.

Peter Maffay in Arbon und die sieben Brücken (Video fw.)

Nostalgie, Songs, die alle kennen und nicht mehr aus dem Kopf gehen, für ewig. «Die Vergangenheit ist eine geduldig dahinschnurrende Katze, die sich gerne erhebt, wenn man sie streichelt» stand nachher im «St. Galler Tagblatt», alte Lieder als Streicheleinheiten.

Und es war auf einer Nebenbühne auf dem grossen Areal in Arbon, junge Musiker und unbekannte Bands hatten hier ihren Auftritt, es war Samstagabend, die Sonne senkte sich langsam über dem Bodensee, einige badeten noch oder glitten mit ihrem Stand-up-Paddleboard über das Wasser, viele sassen auf der Hafenmauer oder einfach am Boden, ein Glas in der Hand und plötzlich begannen sie alle mitzusingen oder wenigstens zu summen und die Lippen zu bewegen – «Hey Jude», sang eine Band auf der Nebenbühne, «Hey Jude» kennen alle, die Alten sowieso, aber auch die Jungen, die noch längst nicht auf der Welt waren, als Paul McCartney diesen Song komponierte, gedacht für Julian, den damals fünfjährigen Sohn von John Lennon, der sich eben von seiner ersten Frau getrennt hatte. Kein anderes Lied der Beatles war erfolgreicher.

«Hey Jude», auch für die Ewigkeit, über sieben Minuten lang dauert es, und über sieben Minuten lang schwelgten die Menschen am und im Wasser, an diesem lauen Abend in Arbon.

21 000 Menschen an zwei Tagen

Und irgendwie passt es, zur Stimmung, die aufkam, hier an diesen Summerdays, dass in diesen Tagen eine andere Nachricht die Musikwelt aufhorchen liess: Agnetha, 71, Björn, 76, Benny, 74, und Anni-Frid, 75, kehren zurück, die Abbas, die sich vor 40 Jahren getrennt hatten und deren Ehen auch auseinander gingen, haben ein neues Album produziert. «Eine musikalische Jugendkultur verkommt damit zum Gefühlsspeicher des Alten» schreibt dazu Jean-Martin Büttner in der SonntagsZeitung, die Abbas singen nochmals und sie tönen wie Abba.

Irgendwann und irgendwo am Bodensee haben sie an diesen zwei Tagen wohl auch «Dancing Queen» gespielt, gesungen, gesummt, ganz sicher.

Und zurück nach Basel, zum Fussball, da stand auch einer auf dem Rasen, der längst weg war und eigentlich noch gar n
ie richtig dabei, Fabian Frei, an den Murat Yakin dachte, weil er in grosser personeller Not war, und den er mitten in der Nacht vier Tage vor dem Spiel gegen Italien anrief, er war schon im Bett gelegen. Frei, 32, war dann im Spiel einer der Besten.

Am Weekend der Alten. Und des Erinnerns an das Alte. Es war wie früher.

Die Abbas werden übrigens 2022 in einem Theater in London dank einer komplexen Technik als lebensechte Helogramme auftreten, allerdings in ihren virtuellen Körpern von 1979. 

Sie kehren zurück als jene, die sie waren, als sie einst aufgehört hatten. Ein schöner Gedanke.

Die Gruppe Abba heute



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