Die Frauen in der Badi

 

 
Von Ende April, wenn die Badi öffnet, bis mitte September, wenn sie wieder schliesst, sind diese Frauen hier, praktisch jeden Tag, sie reden miteinander, sie reden viel, sie sitzen und liegen nebeneinander auf der Wiese, sie trinken, sie essen oft miteinander, immer am gleichen Tisch, sie reservieren ihren Tisch manchmal, es ist ihr Tisch, am Nachmittag ist es hier meist schattig, abends können sie auf den Untergang der Sonne blicken, Zürich im Hintertgrund, und auf das Wasser, das sich im Abendlicht verfärbt.
 


«Wir haben dich schon vermisst», sagt eine Frau, es ist warm geworden, nochmals warm, vielleicht ist es der letzte sommerliche Tag im Herbst, wer weiss das schon in diesem Jahr, in dem es nicht immer warm und oft regnerisch war. Die Sonne vertreibt jetzt die Wolken am Himmel, und die Frau, die gerufen hat, sitzt in der Badi auf der kleinen Mauer vor den Garderoben.

Sie ist nicht allein, neben ihr sitzen andere Frauen, es sind ältere Frauen, eine ist über 90, und sie sitzen oft hier, eigentlich immer und immer die gleichen Frauen, sie kennen sich seit Jahren, und jetzt ist eben auch jene gekommen, die sie vermisst haben, sie gehört auch zu dieser Gruppe. Sie kam an diesem Tag einfach später als üblich.

Der abendliche Blick in der Badi

Was reden die Frauenh immer? Gibt ihr Leben so viel her? Wahrscheinlich über ihre Kinder und Enkelkinder, vielleicht über ihre Partner, die nicht hier sind oder schon gestorben, sicher über andere Gäste in dieser Badi oder einem Magazin, über solche, die auch oft hier sind oder vielleicht jene, die sie zum ersten Mal sehen. Aber was besprechen sie dann?

Sie reden immer, nur zwischendurch schläft eine oder schlafen alle mal auf ihren Liegestühlen, oder sie lesen in einem Buch, aber dann, wenn wieder alle beieinander und wach sind, reden sie weiter, sie lachen auch zwischendurch und manchmal reden sie etwas leiser und flüstern beinahe, vielleicht reden sie dann über Gäste, die nicht so weit weg sind von ihnen, sie schmunzeln dabei, sie haben schon einiges erlebt in dieser kleinen Badi.

«Wir haben dich vermisst», das war die Begrüssung gewesen.

Was vermissen diese Frauen? Vermissen sie überhaupt etwas? Reden sie manchmal auch darüber? Über das, was sie vermissen aus ihrem früheren Leben? Oder sind sie einfach zufrieden, hier sein zu können, hier in dieser schönen Badi, und zu warten auf die immer gleichen, die fast jeden Tag auch kommen? Die ersten kommen manchmal schon am Vormittag, warten vor der Tür, bis die Badi öffnet.

Ich denke, jetzt ist dann die Badesaison zu Ende, bald wird es kalt sein, bald kommt der Winter, es sind lange und kalte Wochen und Monate, bis es wieder Ende April ist.

Ich weiss, sie werden diese Tage vermissen, diese Tage in der Badi, auf der Mauer, auf ihren Liegestühlen, am Tisch, ihrem Tisch. Um sagen zu können, wenn eine von ihnen einmal etwas später kommt: Wir haben dich vermisst.

Der Winter wird lang werden.

Und sie werden glücklich sein, wenn alle wieder kommen. Und sie keine vermissen werden.
 

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