Faxen mit zu dünnem Papier



Das Geräusch ist auf Wikipedia zu hören, 32 Sekunden lang, wir können es live heute kaum mehr erleben, es pfeift und kratzt und kreischt, einmal kurz, dann wieder länger, wieder kurz, es tut fast weh im Ohr, aber früher schreckten wir deshalb auf, im Büro, auch zu Hause, wenn wir so ein Gerät besassen. Was kommt jetzt?, dachten wir. Manchmal passierte auch nichts, war es ein falscher Alarm oder eine falsche Hoffnung (Liebesbrief?), weil jemand die falsche Nummer gewählt hatte. Nur das Geräusch, das war zu hören – dann kam nichts mehr.

Hier die Hörprobe:  

Ich komme darauf, weil der deutsche Autor Axel Hacke über dieses Gerät kürzlich eine Kolumne schrieb. Und ich kannte es genau, dieses Gerät, das er beschrieb, ich hatte es wieder vor Augen, obwohl es lange her ist. 1982 war es, die alpinen Ski-Weltmeisterschaften in Schladming, wir vom Tages-Anzeiger hatten damals zusammen mit den Kollegen der Süddeutschen Zeitung und den Salzburger Nachrichten ein Büro, und darin stand dieses Faxgerät, ich glaube, es war grau, aber sicher gross, und vor allem neu, fast revolutionär, weil noch weitgehend unbekannt.

Axel Hacke war damals Ski-Reporter bei der Süddeutschen, und er erinnert sich in seiner Kolumne auch an Details. Er beschrieb, wie er seine Texte mit der Schreibmaschine auf dünnes gelbes Papier schrieb und dieses Papier dann, wenn er es in das Fach dieses funkelnagelneuen Faxgerätes legte, von diesem sogleich zerfetzt wurde, weil es viel zu dünn war.

Es ging kein Fax raus, das Papier musste neu zusammengesetzt und offenbar glatt gestrichen werden, ehe man den Text einem Stenografen auf der Redaktion in München diktieren konnte, der es dann wiederum abtippte. Texte gingen damals immer einen langen Weg.

Und es kommen andere Erinnerungen auf. Der Chefredaktor des Tages-Anzeigers, es muss Ende der achtziger Jahre gewesen sein, ordnete eines Tages an, dass jeder in der Redaktionsleitung zu Hause so ein Faxgerät haben musste. Es war inzwischen etwas kleiner, aber immer noch klobig, und wir sollten damit stets erreichbar und bereit sein, wichtige Dokumente zu empfangen. 

Ich weiss nicht mehr, was für wichtige Dokumente das hätten sein sollen, ich kann es auch kaum wissen, weil, so erinnere ich mich oder meine ich mich heute zumindest zu erinnern, auch gar nie ein wichtiges Papier bei mir zu Hause ankam. Das Gerät stand in einer Ecke des Schlafzimmers, mangels anderem Platz.

Es ertönte zwar ein paar Mal dieses Geräusch, das heute Wikipedia noch dokumentiert, einmal mitten in der Nacht, es war schrecklich, vielleicht wählte aber auch damals eine oder einer eine falsche Nummer, oder auch, das kann durchaus sein, hatte ich vergessen, Papier einzulegen oder, noch denkbarer, ich hatte es falsch eingelegt und es zerfetzte es nicht beim Absender sondern bei mir, vielleicht hatte auch eines meiner Kinder das schöne weisse Papier für anderes dringend gebraucht.

Der Fax am Sonntagmorgen:
 «Hallo Herr Hoeness, könnten Sie mal zurückrufen?»

Faxen, obschon das bei Kopier- und Druckgeräten heute immer noch möglich ist, kommt aus einer anderen Zeit. Mit einer Ausnahme allerdings. An einem Ort, in einer Villa hoch über dem Tegernsee, wird wohl auch im nächsten Jahrzehnt noch so ein Gerät stehen. «Hallo Herr Hoeness, könnten Sie mal zurückrufen?», mit dieser Bitte haben - und tun es offenbar auch heute noch - viele Journalisten am Sonntagmorgen einen Fax abgeschickt, und weil Hoeness wusste, dass am Sonntagmorgen nach einem Spiel einige von ihm etwas wissen wollten, schaute er jeweils in seinem Büro nach oder liess sich von seiner Frau Susi das Papier bringen. Und er rief zurück, zuverlässig.

Faxen ist also am Tegernsee immer noch modern. Axel Hacke macht am Ende seiner Kolumne allerdings diesen Vorschlag: Er überlege sich, seine Texte nicht länger auf Papyrusrollen, der typischen Buchform des Altertums, zu verfassen und per Postkutsche in die Redaktion bringen zu lassen, sondern diese ganz zeitgemäss auf Diskette per Kurier abzugeben.

Ach wie schön war es damals, im temporären Redaktionsbüro in Schladming, wo es eine Woche lang nur geregnet hat. Und dieses Geräusch! Wie eine Sirene, wir wurden jeweils sogleich hellwach, piep, piep, es pfiff und kratzte und kreischte. Seither habe ich manchmal Ohrenweh.
 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Kuno Lauener und der Fotograf

Besuch bei Mamma

Hoarau – bitte nicht, YB!

Diego (8): «Yanick, Yanick»

Abschied nehmen

Das Flick-Werk

Chaos bei GC

Weite Reisen

Genug ist genug

Chloote!!!