Geniesst Federer

 
Roger Federer bei seinem ersten Wimbledon-Sieg vor 18 Jahren.

Das ist eine Kolumne aus dem Jahr 2013. Roger Federer hatte damals nach einem miserablen Spiel gegen den Spanier Tommy Robredo beim US-Open in New York in drei Sätzen im Achtelfinal verloren. Er soll doch aufhören, sagten damals viele. Heute Dienstag startet er zu seinem 22. Turnier in Wimbledon, seinem Turnier, das er achtmal und erstmals 2003 gewonnen hatte. «Wie lange noch?», fragte die NZZ in der Vorschau. Roger Federer wird am 8. August 40.

Zehn Jahre hat uns Roger Federer verwöhnt. Wir sassen lange Stunden und manchmal mitten in der Nacht vor dem TV. Fasziniert. Von ihm und seinem Spiel. Er verzauberte uns. Spielerisch spielend, virtuos und souverän, kreativ und leidenschaftlich, und fast immer fiel ihm alles so leicht, er war anmutig und elegant.

Und wie er seinen Körper beherrschte, wie er sich bewegte, sein Gefühl und seine Antizipation, seine Intelligenz im Spiel, er schien immer zu ahnen, was passieren wird. Sein Leben bestand aus Rekorden, immer mehr Rekorden, aus Titeln, immer mehr Titeln, aus vielen Zahlen, aber was wir vor allem liebten: die Schönheit seines Spiels.

Er war ein Poet mit dem Racket. Man sah seine Schläge, und man fragte sich, wie so etwas möglich ist, aus dieser Position, aus diesem Winkel heraus. Aber bei ihm war so vieles Unmögliche irgendwie möglich, bestimmte physikalische Gesetze schienen bei ihm manchmal nicht zu gelten, wir staunten und wollten es nochmals sehen, in Zeitlupe, und blieben doch staunend zurück.

Es waren immer wieder magische Momente, ganz viele, oft epische Duelle. Der verstorbene amerikanische Autor David Foster Wallace beschrieb es in einem Essay in der «New York Times» einmal so: «Das sind Momente, in denen man dem jungen Schweizer mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen zusieht und dabei Laute ausstösst, dass die Frau im Nachbarzimmer kommt, um zu schauen, ob sie den Notarzt rufen soll.»

Wir waren verliebt. Waren? Warum reden wir bei Roger Federer in der Vergangenheit? Warum kommen Fragen, ob er zu alt ist für dieses Spiel? Ob er seinen Mythos zerstört mit einem Auftritt wie zuletzt in New York?

Leonard Cohen sang einst: «Hier ist ein Mann, der noch alles tut für ein Lächeln.»

Dabei sollten wir doch nur eines: Geniessen, jeden Augenblick der noch kommt, jede Sekunde, in der wir ihm noch zusehen können, auch wenn die magischen Momente rarer werden, auch wenn er zuletzt als Verlierer vom Platz geht. Er, der alles gewonnen hat, darf doch verlieren, solange er den Spass am Spiel noch findet.

Kürzlich war Leonard Cohen in Zürich, der kanadische Dichtersänger, 78 ist er inzwischen, und noch kniet er nieder auf der Bühne und tänzelt lächelnd durch den Abend. Wir gehen hin, weil wir vielleicht ein letztes Mal hingehen können, weil er irgendwann nicht mehr auftritt.

Cohen singt am Ende seiner Konzerte und nach drei Stunden oft das Lied «I Tried to Leave You». Es hat darin eine schöne Zeile: «Hier ist ein Mann, der noch immer alles tut für ein Lächeln.»

Cohen soll uns noch nicht verlassen. (Er hat uns inzwischen, er starb 2016). Und Federer soll weiterspielen. Noch lange. So lange er Lust hat. Auch wenn er verliert.

(Aus der SonntagsZeitung vom 8. September 2013)
 

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