Ein Ende wie immer?
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Interview im Tagblatt der Stadt Zürich |
An diesem Freitag beginnt in Rom ein Jahr verspätet die Fussball-Europameisterschaft, die immer noch Euro 2020 heisst, es ist ein europaweites Turnier, das in elf Ländern ausgetragen wird. Als Blog-Vorschau ein Interview, das ich dem «Tagblatt der Stadt Zürich» in dieser Woche geben durfte. Mit zwei Tipps – bezüglich der Schweizer Mannschaft nicht sehr optimistisch, trotz allem. Und warum Platinis damalige Schnapsidee immer noch gefährlich ist.
Unvergessliche waren einige, aber ein verrücktes? Vielleicht das: Es war die WM 1990 in Italien, ich war in Mailand, wollte spätnachts mit dem Hotellift in mein Zimmer. Im zweiten Stock ging plötzlich die Tür auf, Diego Maradona trat in den Lift. Ich war völlig perplex, mein Spanisch miserabel, im vierten Stock ging er wieder. «Buenas noches» stammelte ich nur, er nichts. Ging einfach wieder hinaus. Aber er war es.
Wo sind Sie am 11. Juni, wenn die Fussball-EM startet?
Ich hatte für letztes Jahr zwei Tickets gekauft, für Italien-Schweiz in Rom, wollte mit meinem Sohn gehen. Ich weiss aber bis heute (Stand: Ende Mai) nicht, ob ich sie für diesmal erhalte, da ja auch in Rom nur begrenzt Zuschauer zugelassen sind. Wenn nicht: Wohl im Ristorante Totò im Zürcher Seefeld, mit vielen anderen vor einem Grossbildschirm. (Inzwischen: Ich habe die Tickets bekommen, reise also nächste Woche nach Rom zum Spiel der Schweizer gegen Italien. Aber mein Stammplatz vor dem TV wird wohl im Totò sein.)
Auf was freuen Sie sich bei der EM 2021 besonders?
Bei mir ist es meistens so: Ich freue mich erst, wenn der erste Ball gespielt wird. Ich muss ins Turnier kommen, als Journalist damals war das so, jetzt auch als Zuschauer – das sagen Spieler doch auch...?
Die EM 2021 wird, verteilt auf ganz Europa, erstmals in elf Städten stattfinden. Ein absolutes Novum. Was halten Sie davon, ein Fussballturnier so und dazu noch in Pandemie-Zeiten durchzuführen?
Ich fand es schon eine Schnapsidee, als damals Michel Platini auf die Idee kam, 2020 eine Europameisterschaft in halb Europa durchzuführen. Dann kam Corona, und ich finde es noch problematischer und dachte lange, sie muss auch 2021 wieder abgesagt werden. Auch wenn inzwischen viele Menschen geimpft sind, die Spieler komplett abgeschirmt werden und viel weniger Zuschauer in den Stadien sind – es bleibt gefährlich.
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In Baku spielt die Schweiz gegen Wales und die Türkei |
Hilft die europäische Idee? Oder wird hier Politik mit Fussball gemacht?
Wem soll sie helfen? Die Politik versuchte schon immer, den Sport für ihre Zwecke zu vereinnahmen, sie hat den Sport fest im Griff. Sport und Politik lassen sich nicht trennen. Aber auch der Sport, der Spitzensport, hat – oder hätte – eine gesellschaftliche Verantwortung und sollte sie noch stärker wahrnehmen.
Es wird wegen Corona keine vollen Stadien mit jubelnden Fans geben. Hat dies einen negativen Einfluss auf die Spieler?
Nein, die Spieler mussten sich längst daran gewöhnen, ohne Fans zu spielen. Man hört sie – und auch die Trainer – dafür umso besser.
Das erste Gruppenspiel der Schweizer gegen Wales findet in Baku stattfinden, das zweite gegen die Italiener in Rom, das dritte gegen die Türkei wieder in Baku. Die Mannschaft muss weite Wege zurücklegen und hat kein Stammquartier. Vor- oder Nachteil?
Keine andere Mannschaft muss mehr Flugkilometer zurücklegen, Zürich-Baku-Rom-Baku, dann hoffentlich nicht zurück nach Zürich … das sind mindestens 13‘000 Kilometer. Ein Nachteil? Die Schweizer sitzen einfach länger im Flugzeug, gewinnen sie das erste Spiel, vergisst man das, verlieren sie, dann wird man klagen.
Werden Mannschaften, die viel zwischen den Spielen reisen müssen, eventuell ungleich behandelt?
Mit dieser Idee, inzwischen in elf Ländern und elf Städten zu spielen, gibt es unterschiedliche Bedingungen. Dies ist nicht zu vermeiden. Logistisch ist es nicht für alle gleich einfach.
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In Rom spielt die Schweiz gegen Italien |
Die Schweiz spielt in Gruppe A. Wie schätzen Sie diese ein?
Italien: stark; Wales: unangenehm; Türkei: Erinnerungen, zwar schöne, aber auch unschöne (Playoff WM 2006).
Wer ist Ihr Gruppenfavorit und weshalb?
Klar: Italien! Die Italiener sind seit inzwischen 27 Spielen ungeschlagen, von den zehn Ausscheidungsspielen zur EM gewannen sie alle zehn. Erst kürzlich wurde der Vertrag mit Trainer Roberto Mancini bis 2026 verlängert.
Die Schweizer Nationalmannschaft fährt mit viel Selbstbewusstsein an die EM. Wo liegen ihre Stärken und Schwächen?
Vom Talent her ist sie eine der besten, die wir je hatten. Sie ist routiniert, viele Spieler stehen in ihrem wohl besten Alter als Fussballspieler, der älteste in der Stammformation (Sommer) ist 32, der jüngste (Elvedi) 24. Aber: Nicht alle spielten in den letzten Monaten bei ihren Klubs oft. Aber: Ist Xhaka der grosse Stratege?
Sommer der grosse Rückhalt? Welchen Shaqiri erleben wir? Trifft Seferovic wie mit seinem Klub Benfica? Und: Sind die Spieler auf dem Rasen so selbstbewusst wie sie es mit Worten sind?
Wie weit kommt die Schweizer National-Elf?
Ein zweiter Rang wäre schön, ein dritter reicht vielleicht auch für die Achtelfinals, 16 von 24 Mannschaften kommen ja weiter. Aber dann? Wir haben keine guten Erinnerungen. Mein Tipp, nicht gerade optimistisch: Gruppendritter, dann Deutschland im Achtelfinal, 1:2 in der Verlängerung.
Die Saison dauerte coronabedingt lange, Ferien hatten alle Spieler keine. Wie viel Energie ist noch vorhanden?
Alle Teams haben ja Spieler, die seit einem Jahr sehr viele Spiele bestreiten mussten und fast keine Pausen hatten. Wird es vielleicht zum Vorteil, dass einige Schweizer in ihren Stammklubs nicht gesetzt waren?
Welchen Schweizer Spielern trauen Sie während des Turniers einen Effort zu?
Shaqiri, weil er aussergewöhnlich sein kann. Und seine Muskeln hoffentlich für einmal nicht zum Problem werden.
Wer steht im Final am 11. Juli im Londoner Wembley-Stadion?
Italien gegen Deutschland, Italien gewinnt 3:2 nach Verlängerung, auch wenn ich Jogi Löw zu seinem Abschied etwas anderes wünschen würde.
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Der Spielplan der Euro 2020 im 2021 |
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