Wildes Leben
Das passiert immer wieder. Ein Name einer Musikerin oder eines Musikers, und dann ist ein Lied im Kopf. Vielleicht ist eine Geschichte damit verbunden, eine ganz persönliche, und sie soll persönlich bleiben, vielleicht war es auch einfach der erste Song, den man vor langer Zeit von diesem Namen gehört hatte.
Marianne Faithfull. Und: «The Ballad of Lucy Jordan».
Es ist das Lied für mich. Von ihr. Mit ihrer tiefen, rauen und rauchigen Stimme. Es ist die Geschichte einer 37-jährigen Hausfrau, deren Leben in eine Sackgasse geraten war, die auf das Hausdach stieg, wo ihr ein fremder Mann die Hand reichte und sie in eine psychiatrische Klinik begleitete.
Es ist das Lied für mich. Von ihr. Mit ihrer tiefen, rauen und rauchigen Stimme. Es ist die Geschichte einer 37-jährigen Hausfrau, deren Leben in eine Sackgasse geraten war, die auf das Hausdach stieg, wo ihr ein fremder Mann die Hand reichte und sie in eine psychiatrische Klinik begleitete.
Das war im Kopf. Und so war es, als ich kürzlich in der «Süddeutschen Zeitung» ein ganzseitiges Interview von ihr las – Marianne Faithfull und diese Ballade –, es ist ein eindrückliches, schonungsloses Interview. Mit «Schicksal» ist es getitelt, und es schliesst mit dieser Antwort: «Ich trinke nicht mehr. Ich rauche nicht mehr. Ich nehme keine Drogen mehr. Ich habe mich verändert, meine Einstellung zum Leben hat sich geändert. Ich bin nicht mehr die Person, die ich einmal war.»
Marianne Faithfull trank. Und rauchte. Und nahm Drogen. War heroinsüchtig, an Krebs erkrankt. Stürzte in ihrem bewegten Leben immer wieder ab, hatte schwere Exzesse, Suizidversuche, lebte eine zeitlang im Londoner Stadtteil Soho als Obdachlose auf der Strasse. Nichts hatte sie in ihrem Leben ausgelassen. Sie war die Muse von Mick Jagger, drehte Filme mit Alain Delon, sie war - und fühlte sich auch - als Accessoire-Girl für viele, auch Bob Dylan hatte sich einmal in sie verliebt.
Im Interview sagt sie nun: Der Corona-Virus, an dem sie vor einem Jahr erkrankt war, sei mit Abstand das Schlimmste in ihrem Leben gewesen. Sie lag wochenlang in einer Klinik auf der Intensivstation, sie hätten sie dort schon abgeschrieben, und sie sei froh, dass sie noch lebe, aber sie sei weit davon entfernt, gesund zu sein, leide unter Spätfolgen, Long-Covid. Sie glaube nicht, dass sie je wieder singen könne und Konzerte bestreiten, aber singen wäre die beste Therapie, ein Freund komme einmal in der Woche mit seiner Gitarre bei ihr vorbei, und dann versuche sie zu singen. «It’s All Over Now, Baby Blue», das sei das beste Training.
2014 war eine Autobiographie in Bildern von ihr herausgekommen, «Bilder meines Lebens» der deutsche Titel, auf der Rückseite steht ein Zitat ihrer langjährigen Freundin Anita Pallenberg, einer deutschen Schauspielerin, auch mit einem intensiven Leben, mit Keith Richards liiert. «Marianne war schon immer grausam, besonders zu sich selbst», schrieb Pallenberg. Es ist ein starkes Buch aus dem spektakulären und brüchigen Leben von Faithfull. Im Vorwort nennt sie der Schriftsteller Salman Rushdie «eine Überlebende», aber sie liebt dieses Wort nicht, mit «Überlebende» bringe sie Menschen in Verbindung, die dem Holocaust entkommen seien.
Pallenberg starb 2017. Faithfull hat den Tod ihrer Freundin aus gemeinsamen Stones-Zeiten in einem Lied verarbeitet, «Born to Live», es heisst darin: «As usual nothing’s as it seems. But to die a good death is my dream.» – Wie immer ist nichts so, wie es scheint. Aber einen guten Tod zu sterben ist mein Traum.
Im Interview mit der »Süddeutschen» sagt Faithfull: «Ich muss akzeptieren, was das Leben für mich bereithält – wie jeder andere auch. Aber es ist nun sehr wichtig für mich, im Jetzt zu leben. Nicht nach hinten zu gucken, nicht nach vorne. Nicht gestern, nicht morgen, nur heute.» Und darum wolle sie auch nicht mehr über die wilden sechziger Jahre reden, vor allem nicht über Jagger und eigentlich auch nicht über London, dort hole sie die Vergangenheit wieder ein.
Ein zweites Konzert mit ihr, 2014, diesmal im Zürcher Volkshaus. Keines in guter Erinnerung. 67 war sie damals, mit einem neuen Album, sie stand auf der Bühne mit wenig Ausstrahlung, nicht gut gelaunt, gezeichnet von einer Hüftoperation, sie sass zwischendurch versunken auf einem Sofa, musste, wenn sie sang, immer auf ein Textblatt schauen, sie wirkte müde.
Sie ist auch jetzt müde, wie sie in diesem Interview sagt. Aus einem anderen Grund. Aber sie hat ein neues Album auf dem Markt, «She Walks in Beauty», eines, auf dem sie nicht singt, sondern Gedichte der englischen Romantik rezitiert, untermalt mit Musik, auch von Nick Cave. Perfekt für diese Zeit, in der wir alle ruhiger sind, sagt sie, 75 wird Faithfull im Dezember.
«The Ballad of Lucy Jordan» (Youtube-Link)
Marianne Faithfull trank. Und rauchte. Und nahm Drogen. War heroinsüchtig, an Krebs erkrankt. Stürzte in ihrem bewegten Leben immer wieder ab, hatte schwere Exzesse, Suizidversuche, lebte eine zeitlang im Londoner Stadtteil Soho als Obdachlose auf der Strasse. Nichts hatte sie in ihrem Leben ausgelassen. Sie war die Muse von Mick Jagger, drehte Filme mit Alain Delon, sie war - und fühlte sich auch - als Accessoire-Girl für viele, auch Bob Dylan hatte sich einmal in sie verliebt.
Im Interview sagt sie nun: Der Corona-Virus, an dem sie vor einem Jahr erkrankt war, sei mit Abstand das Schlimmste in ihrem Leben gewesen. Sie lag wochenlang in einer Klinik auf der Intensivstation, sie hätten sie dort schon abgeschrieben, und sie sei froh, dass sie noch lebe, aber sie sei weit davon entfernt, gesund zu sein, leide unter Spätfolgen, Long-Covid. Sie glaube nicht, dass sie je wieder singen könne und Konzerte bestreiten, aber singen wäre die beste Therapie, ein Freund komme einmal in der Woche mit seiner Gitarre bei ihr vorbei, und dann versuche sie zu singen. «It’s All Over Now, Baby Blue», das sei das beste Training.
Zwei Konzerte bleiben für mich unvergesslich. Eines, 1996 im Saal des Kaufleuten in Zürich, ich glaube, es war schon kalt draussen und Winter. Auf der Bühne war ein Barhocker und ein Sofa, Faithfull trug einen dunklen Hosenanzug, ihr blondes Haar zurückgebunden, verführerisch sah sie aus, sinnlich, und sie verführte mit ihrer grandiosen Stimme, sang einige Lieder aus der «Dreigroschenoper», es war ein wunderbarer Abend, sie erzählte zwischen den Liedern immer wieder Geschichten.
«Born to live» (Youtube-Link)
Pallenberg starb 2017. Faithfull hat den Tod ihrer Freundin aus gemeinsamen Stones-Zeiten in einem Lied verarbeitet, «Born to Live», es heisst darin: «As usual nothing’s as it seems. But to die a good death is my dream.» – Wie immer ist nichts so, wie es scheint. Aber einen guten Tod zu sterben ist mein Traum.
Im Interview mit der »Süddeutschen» sagt Faithfull: «Ich muss akzeptieren, was das Leben für mich bereithält – wie jeder andere auch. Aber es ist nun sehr wichtig für mich, im Jetzt zu leben. Nicht nach hinten zu gucken, nicht nach vorne. Nicht gestern, nicht morgen, nur heute.» Und darum wolle sie auch nicht mehr über die wilden sechziger Jahre reden, vor allem nicht über Jagger und eigentlich auch nicht über London, dort hole sie die Vergangenheit wieder ein.
Ein zweites Konzert mit ihr, 2014, diesmal im Zürcher Volkshaus. Keines in guter Erinnerung. 67 war sie damals, mit einem neuen Album, sie stand auf der Bühne mit wenig Ausstrahlung, nicht gut gelaunt, gezeichnet von einer Hüftoperation, sie sass zwischendurch versunken auf einem Sofa, musste, wenn sie sang, immer auf ein Textblatt schauen, sie wirkte müde.
Sie ist auch jetzt müde, wie sie in diesem Interview sagt. Aus einem anderen Grund. Aber sie hat ein neues Album auf dem Markt, «She Walks in Beauty», eines, auf dem sie nicht singt, sondern Gedichte der englischen Romantik rezitiert, untermalt mit Musik, auch von Nick Cave. Perfekt für diese Zeit, in der wir alle ruhiger sind, sagt sie, 75 wird Faithfull im Dezember.
Ich will und muss sie hören, die Ballade von Lucy Jordan.
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