«Ihr seid entlassen!»


Wieder beides zusammen, Präsident und Trainer: Christian Constantin 


55mal hat Christian Constantin den Trainer gewechselt, seit er 2003 zum zweiten Mal Präsident des FC Sion geworden war. 42 verschiedene Namen sind es bis heute, von Andrey bis Zermatten, und schon dreimal sah Präsident Constantin nur noch diese Lösung: Er machte sich selber zum Trainer, wie jetzt wieder. Davon handelt auch diese Kolumne aus dem Jahr 2008.


Die Vorgeschichte, ein Tag Mitte November 2008 in Sitten: Trainer Christian Constantin geht zu Präsident Christian Constantin und beklagt sich: «Mit diesem Sportchef geht es nicht. Er ist so frech, redet mir immer drein, hockt lässig auf der Bank und pafft ständig.» Präsident C stutzt einen Moment, überlegt kurz, denn Frédéric Chassot, sein Sportchef, ist seit Jahren sein treuer, ihm stets devoter Begleiter. Er sagt dann aber doch: «Also muss er gehen. Ich mache auch das selber. Es ist sowieso besser so.»

C ist beim FC Sion ab sofort alles zusammen, Präsident, Trainer und Sportchef. Er hat neben drei Ferraris auch drei Handys, damit der Präsident C mit dem Trainer C und dem Sportchef C immer kommunizieren kann. 

Anfang Dezember 2008: Sion liegt mit dem Trainer Constantin nach dem 1:2 in Bellinzona, dem 0:2 gegen Vaduz und dem 0:5 beim FC Zürich auf dem zweitletzten Tabellenplatz, lediglich einen Punkt vor Bellinzona. 

Präsident C wählt zuerst die Handy-Nummer von Trainer C und dann jene vom Sportchef C und spricht in harschem Ton bei beiden auf die Combox, weil sie nicht sofort abnehmen: «Morgen früh um halb acht, Sitzung in meinem Büro!»

Am anderen Morgen in Martigny, Hotel La Porte d'Octodure, direkt an der Autobahn: Trainer C und Sportchef C fahren mit ihren Ferraris pünktlich vor, ein ausgestopfter Wolf in Lebensgrösse steht neben dem Büro des Präsidenten, empfangen werden sie von einem Herrn, der C sehr ähnlich ist (die frühere Empfangsdame wurde entlassen).

Constantin als Präsident auf der Tribüne

Bald geht die Tür auf, Präsident C kommt im dunklen Anzug herein, seinen bodenlangen Schal trägt er in der Hand, süffisant lächelt er; Sportchef C, in Jeans und T-Shirt, drückt hastig die Zigarette aus, er schmunzelt; Trainer C, in kurzen Hosen, Trillerpfeife in der Hand, erhebt sich sofort, er steht stramm.

Sie wollen beide «Bonjour» sagen, doch der Präsident C unterbricht, schreit sie an: «Ihr seid entlassen!»

Trainer C, stottert: «Mais ...» 

Präsident C, noch lauter: «Es gibt nichts zu sagen. Du bist entlassen, c'est fini.» 

Sportchef C, leise: «Aber mit diesem alten Ägypter da im Tor (es war Essam El-Hadary, damals 35), diesem Fliegenfänger, haben Sie gesehen, Monsieur Constantin, kürzlich auf dem Letzigrund, dieser Schuss aus 50 Metern.»

Präsident C, zornig: «Ich habe selber Augen, Monsieur!»

Sportchef C: «Und ...?»

Präsident C: «Er ist nicht mehr unser Torhüter. Ab sofort bin ich auch das selber. Ich kann das. Und zum Trainer gewandt: «Lass deinen Ferrari gleich unten stehen, den bekommt jetzt der Torhüter.»

(Erschienen am 9.11.2008 in der SonntagsZeitung)


PS: Am Dienstagmorgen um 9.54 Uhr kam wieder einmal ein Communiqué des FC Sion: «Mesdames, Messieurs, vous trouverez ci-joint un communiqué concernant ...» Sion hat unter Constantin den 56. Trainer, er heisst Marco Walker, 50, war einmal Nationalspieler, Trainer-Assistent in Basel und zuletzt beim FC Naters tätig. Endlich ist in der langen Liste von Constantin auch eine Lücke geschlossen: Walker ist der erste mit dem Anfangsbuchstaben «W». Und: Er stand immer, auch bei minus 15 Grad und Schneefall, mit kurzen Hosen an der Linie, bisher wenigstens. Es wäre ein schönes Bild: Walker mit nackten Beinen, daneben Constantin in seinem langen Wintermantel und dicken Schal. Auf Anraten seines Arztes – das Alter, die Knie – wird Walker aber in Zukunft wenigstens lange Hosen tragen.

Diese Frage bleibt: Kommt Ugo Raczynski nun offiziell auf die lange Liste* der Constantin-Trainer? Er war am letzten Freitag zum Interimscoach ernannt worden, musste aber am Samstag in die Quarantäne, so dass eben Constantin gegen Servette nochmals Coach war. Unter «R» stehen allerdings schon viele auf dieser Liste: Rössli (zweimal), Roussey (auch zweimal), Riccio und Rossini. Und in Constantins erster Amtszeit als Präsident waren es Richard (dreimal), Rouyer und bereits einmal Roussey.

*Liste: Stand, Dienstag, 16. März 2021, 14.30 Uhr. Unter «transfermarkt.de» wird Raczynski aufgeführt: Vom 12.3. bis 15.3., 3 Tage (Negativ-Rekord) als Sion-Trainer, 1 Spiel (das er in seiner Quarantäne erlebte).

Der Letzte einer langen Liste: Marco Walker


 
 

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