Die erste Ski-Weltmeisterin – sie schrieb für die NZZ über ihre Rennen


Zweifache Weltmeisterin: Rösli Streiff, Glarus.


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Sagen Sie mir nicht Frau, sagen Sie mir bitte Fräulein, ich bin ein Fräulein und bin noch zu haben, sagte sie. Und lachte. Sie war über 70 damals, ich besuchte sie als junger Journalist mitte der siebziger Jahre für einen Bericht im damaligen Fachblatt «Sport», die Rubrik hiess «Wer sie waren. Was sie wurden», und eigentlich hätte sie das Gespräch am liebsten verschoben. Es war ein wunderbarer Wintertag im Dezember, über Nacht hatte es geschneit, die Sonne schien, und sie wäre so gerne auf die Ski gegangen, sie liebe Pulverschnee im Steilhang, möglichst steil und gefährlich müsse es sein.

Sie, eigentlich Rosa, aber alle nannten sie immer nur Rösli, Streiff, eine zierliche kleine Frau oder eben ein Fräulein aus Glarus, die erste alpine Ski-Weltmeisterin aus der Schweiz. 1932 war es, die Rennen fanden in Cortina d’Ampezzo statt, wie jetzt wieder, und deshalb auch diese Geschichte, es ist eine Erinnerung an eine andere Zeit.

«Sport» vom 8.1.1975.

Rösli Streiff war im Slalom mit über zehn Sekunden Vorsprung Weltmeisterin geworden, sie gewann auch die Kombination, aber dass sie damit zweifache Weltmeisterin geworden war, wusste sie erst viel später, denn eigentlich waren es in Cortina nur internationale FIS-Wettkämpfe gewesen, und erst Jahre einige Jahre danach galten sie auch als Weltmeisterschaften.

Aber Rösli Streiff erzählte an diesem Morgen, als wäre es gestern gewesen. Wie man ihr vor dem Start zum Slalom gesagt habe, sie solle sich nicht genieren, den Hang hinunter zu stemmen, das sei besser, und sie dann mit grossem Vorsprung, genau waren es 10,1 Sekunden, gewonnen hatte. Wie sie vor der Abfahrt mit Rucksack und einem Lunch darin einen zweieinhalbstündigen Fussmarsch zum Start machen musste. Wie stolz sie war auf ihren roten Pullover mit dem Schweizer Kreuz, den sie tragen durfte, aber am Ende der Saison jeweils gewaschen und gebügelt zurückgeben musste, er hängt heute im Sportmuseum in Basel.

Start in der Hotelhalle, der Portier öffnete die Tür - und unterwegs geriet Rösli Streiff in ein Schneebrett

Und wie sie von anderen Rennen erzählte. Einem in Zell am See, es habe heftig geschneit und gestürmt, die Fahrerinnen hätten sich in einer Hotelhalle besammeln müssen, auf einem Teppich warteten sie, es kam das Startsignal, der Portier öffnete schnell die Hoteltür. Aber sie hätten dann nicht recht gewusst, wohin sie nun fahren müssen, so dick sei der Nebel gewesen. Möglichst rechts halten, habe man Rösli Streiff auf den Weg gegeben. Es sei zu einem Abenteuer geworden, ein Schneebrett habe sie unterwegs mitgerissen, sie hätte nur noch Sterne gesehen und das Schlimmste befürchtet, doch plötzlich seien Vögel am Himmel aufgetaucht und später auf der Piste ganz viele Fahrerinnen, die nach ihr gestartet waren. Sie sei dann so verwegen wie noch nie gefahren, hätte fast alle noch überholt.

Rösli Streiff lachte herzlich, als sie damals an diesem Morgen im Dezember 1975 alles erzählte, und aus einem Schrank ihres Hauses in Glarus nahm sie einen Ordner heraus und zeigte Zeitungsausschnitte: «Sehen Sie, das habe ich geschrieben.» Sie war bei vielen Rennen auch Korrespondentin für die NZZ gewesen, kaum im Ziel angekommen, habe sie jeweils Block und Bleistift aus dem Rucksack genommen, sich Namen und Zeiten notiert, sei dann sofort zum Telefon beim nächsten Bahnhof gerannt und habe den Bericht der Redaktion in Zürich durchgegeben, manchmal waren es auch Texte über eigene Siege. Und es habe pressiert, die NZZ hatte damals noch täglich drei Ausgaben.

Der Bericht über das eigene Rennen.

Aber Rösli Streiff machte noch viel anderes. Sie fuhr Autorennen, kletterte, bestritt Pferderennen, auch Skijöring auf dem St. Moritzersee, einige Monate nach unserem Besuch lernte sie, jetzt war sie 74, Wasserskifahren, und mit 87 erfüllte sie sich einen Wunsch, sie hing im Wallis mit einem Deltasegler in der Luft, fast eine Stunde lang. Angst habe sie keine gehabt, erzählte sie nachher, der Pilot habe ja auch wieder heim gewollt.

Im Februar 1997, sie war 96, starb Rösli Streiff. Sie blieb Fräulein Streiff, einmal sei sie verlobt gewesen, aber diesen Mann habe sie wieder zu seiner Mutter heimgeschickt, viermal hat sie einen Heiratsantrag bekommen, viermal hat sie abgelehnt. Sie wollte frei bleiben.

Als 87-Jährige noch mit dem Deltasegler unterwegs.
 

Kommentare

  1. Heinz Vögeli22.2.21

    Eine sehr schöne Geschichte. Gratulation. Mein Vater (auch Skirennfahrer, 4er-Kombination) war in seinen jungen Jahren auch einer ihrer Verehrer. Ob er ihr einmal einen Heiratsantrag gemacht hatte, hat er mir nie verraten. Aber als Jugendlicher spürte ich, dass bei ihm etwas vibrierte, wenn wir beim Skifahren dem Rösli begegneten. Dies auch noch im fortgeschrittenen Alter.

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