Typisch Lucien Favre


Lucien Favre, wieder einmal ein Ende.


Diesen Text habe ich vor fünf Jahren geschrieben, in meiner Kolumne, die damals im «Tages-Anzeiger» erschien und noch «Espresso» hiess. Es ging dabei immer um Luca, den Architekten, und Bruno, den Werber, die sich am Morgen in einem Bistro zu einem Kaffee treffen und über irgendetwas reden. Damals über Lucien Favre, diesen hochbegabten und immer wieder wunderlichen und sehr feinfühligen Trainer, der den Fussball so liebt, der Fussballspieler stark machen und entwickeln kann, der aber mit seiner Art so gar nicht in die heutige (Medien-)Welt des Fussballs passt. Er liebt den Fussball über alles, aber der Fussball macht es ihm immer wieder schwer. Jetzt ist er bei Borussia Dortmund entlassen worden.  


«Tages-Anzeiger» vom 22.9.2015.

B
runo und Luca sprechen an diesem Morgen über Beziehungen, es ist anfänglich ein sehr privates Gespräch, und Männer sind bei diesem Thema manchmal etwas wortkarg, sie weichen aus, weil es ihnen zu persönlich wird und Gefühle mitspielen und es vor allem sein könnte, dass im Bistro jemand zuhört, was unangenehm wäre.

Und so reden sie bald über die Beziehungen anderer und über einen, den beide zwar nicht persönlich kennen, von dem sie aber schon viel gelesen haben, besonders an diesem Morgen wieder. Bruno hat vor einiger Zeit einmal jemanden getroffen, der ihn gut kennt und mit ihm zusammengearbeitet hat, und der sagte, es sei keine einfache Beziehung mit ihm, sehr kompliziert. Sie reden über Lucien Favre.

Bruno erinnert sich an ein grosses Interview, das eine deutsche Zeitung mit ihm führte, es ist noch nicht lange her, Favre freute sich auf die neue Saison, auch auf die Champions League, in seinem Büro auf der Geschäftsstelle von Borussia Mönchengladbach hängt eine Europakarte, und mit Nadelköpfen sind alle Städte markiert, in denen in diesem Herbst der grosse Fussball gespielt wird. Gladbach, Favres Gladbach gehört dazu, nach vielen, vielen Jahren endlich wieder, es sei eine unglaubliche Geschichte, sagt Favre selber.

In diesem lnterview, Favre ist gut gelaunt, kommt ein Wort immer wieder vor, fast in jedem zweiten Satz, es ist ein Wort, das viel über Favre und den Menschen Favre aussagt, wie er denkt und ist, es ist das Wort «aber».

Er sagt etwas, schränkt aber sogleich ein. Es ist so, aber es könnte auch so sein. Das kann sein, aber man muss auch an das denken. Das stimmt, aber das ist auch möglich. Das ist denkbar, aber ich denke. Ich bin überzeugt, aber das darf man nicht vergessen. Es ist richtig, aber nicht ganz.

Favre ist ein grüblerischer Mensch mit einer weichen Stimme, manchmal etwas verschroben, auch melancholisch, gar schüchtern, fast etwas unbeholfen. Er sucht ständig, plant, verwirft, hat tausend Ideen, sucht die nächste, er zweifelt, zaudert, hadert, ist skeptisch, misstrauisch, und er ist sehr pedantisch, will ständig die Perfektion. Er sei ein hoch versierter Fussballlehrer und begabter Schwarzmaler, hat jemand geschrieben. Er kann sehr anstrengend sein.

Und wie er tickt, hat Brunos Kollege damals an diesem Beispiel gezeigt, «typisch Favre» sei es gewesen, es ging um den Zuzug eines neuen Spielers, es war kurz vor Transferschluss. 23.50 Uhr: Holen wir ihn, er passt hervorragend zu uns. 23.52 Uhr: Oder nein, ich brauche ihn nicht. 23.54 Uhr: Oder vielleicht doch. 23.56 Uhr: Nein, es geht nicht mit ihm. 23.58 Uhr: Ich überlege. 23.59 Uhr, um Mitternacht Ist Transferschluss: Ich will ihn, unbedingt!

«Ist es In dieser Nacht zum Sonntag im Kopf von Lucien Favre auch so zu- und hergegangen, als er einsam zu Hause sass in seinem Büro? Oder vielleicht im Morgengrauen bei einem Spaziergang?», fragt Luca, «hat er ständig überlegt, war er hin-und hergerissen, dachte er einmal so, sofort aber wieder anders, grübelte er, weil er Zweifel an sich selber hatte, und verzweifelte er, weil er die Lösung nicht mehr sah und nur noch diesen Ausweg, die Flucht?»

«Vielleicht», sagt Bruno. Lucien Favre habe einmal gesagt, dass Kompromisse immer Fehler seien, bevor die beiden aber wieder über Beziehungen reden und es vielleicht wieder privat wird und darüber, dass es in Beziehungen doch Kompromisse braucht, in jeder Beziehung, und Beziehungen sonst nicht funktionieren können, stehen die beiden Freunde im Bistro auf und gehen.


Lucien Favre und seine Mühe mit der Medienwelt.


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