Frau ohne Maske


Es war im Elfer, das Tram hatte am Zürcher Rennweg gehalten, draussen regnete es in Strömen, ein Wetter wie im November, dabei war es wenige Tage zuvor noch Sommer gewesen. Eine alte Frau war eingestiegen, sie war verzweifelt, in der einen Hand den Schirm, es hatte ihn fast weggewindet, in der anderen ihre Handtasche, aufgeregt und nervös zitternd hatte sie darin gewühlt, sie suchte etwas, und wir drinnen im Tram ahnten was. Sie fand es nicht, sie blieb auf dem Trittbrett einen Moment stehen, zögerte und trat dann doch ins Tram, ausser Atem, sie war wohl über 80 Jahre alt, festhalten konnte sie sich nicht, der Schirm, die Tasche, und die Verzweiflung im Gesicht.

Die Frau hatte keine Maske. Irgendwo in der Handtasche musste sie doch sein, sie hatte sie am Morgen zu Hause sicher reingelegt, vielleicht auch nicht, vielleicht vergessen. Jetzt stand sie da, schaute um sich, man sah ihr an, wie unangenehm es ihr war.

Auf einem Sitz im Tram sass ein junger Mann, mehr Kind noch, 14 vielleicht, das Handy in der Hand, im Ohr die Stöpsel, er hörte wohl Musik, aber er sah die Frau, stand auf, griff in seine Jackentasche und holte eine dieser hellblauen Masken heraus, ging zur alten Frau und gab sie ihr. Sie lächelte jetzt, wohl auch unter der Maske noch.

Es sind komische und schwierige Zeiten. Manchmal auch schöne. Rührende.

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