Viereckiger Ball
Paul Wolfisberg, der rauchende Nationalcoach auf der Bank: Bratislava, März 1981. |
Er war der «Wolf», seine Spieler waren die «Wölfe», von ihm und seinem Rudel wurde geschrieben, die Abwehr hiess die «Abbruch GmbH». Paul Wolfisberg, einst Spieler, dann Trainer, Schweizer Nationalcoach und daneben immer auch Inhaber eines Architekturbüros im luzernischen Horw, war ein Mann des Volkes. Mit seinem buschigen Bart und seinem kantigen Gesicht sah er aus wie eine Mischung aus Bud Spencer und Wilhelm Tell, wie einer einmal schrieb, er war beliebt, manchmal burschikos, charismatisch jedenfalls, während Jahren einer der populärsten Schweizer. Er sagte über sich, er sei ein eher väterlicher Typ.
Und Paul Wolfisberg war ein Medienthema, das lässt sich am besten nachzeichnen an den Ereignissen in diesen Wochen im Herbst 1984.
Es war ein Mittwochabend in Oslo, das erste Qualifikationsspiel der Nationalmannschaft für die Weltmeisterschaft in Mexiko. Die Schweizer, zuvor während Monaten sieglos, gewannen gegen Norwegen überraschend 1:0, Torschütze Andy Egli, grosser Jubel überall, aber Wolfisberg war bereits vor Spielschluss in die Kabine gegangen, zerknirscht.
Paul Wolfisberg musste im «Blick» lesen,
Nachher sass er vor den Medien, sagte nichts zum Spiel, hatte aber einen Zettel und las handgeschriebene Notizen vor, sichtlich erregt, gezeichnet und nervös. Im Schweizer Fussball herrsche Krieg, sagte er, gewisse Journalisten seien Totengräber des Fussballs, der Ball sei für ihn im Moment viereckig und er sei ab sofort eine versteinerte Sphinx und verschwinde für einige Zeit, für niemanden mehr erreichbar.
Paul Wolfisberg musste im «Blick» lesen,
dass er endgültig zurückgetreten sei
Nachher sass er vor den Medien, sagte nichts zum Spiel, hatte aber einen Zettel und las handgeschriebene Notizen vor, sichtlich erregt, gezeichnet und nervös. Im Schweizer Fussball herrsche Krieg, sagte er, gewisse Journalisten seien Totengräber des Fussballs, der Ball sei für ihn im Moment viereckig und er sei ab sofort eine versteinerte Sphinx und verschwinde für einige Zeit, für niemanden mehr erreichbar. Er trottete davon, zündete sich im Kabinengang eine Zigarette an – er rauchte viel und überall, auch manchmal auf der Trainerbank während des Spiels – und lief allein hinaus in die dunkle Nacht.
Schon tags zuvor, vor dem Spiel, hatte er zuhanden des Präsidenten des Fussballverbandes sein Kündigungsschreiben in eine Schreibmaschine getippt, in zwei Versionen, die eine enthielt im Falle eines Sieges den Zusatz: «Damit übergebe ich Ihnen die Nationalmannschaft in einem besseren Zustand, als ich sie übernommen habe.» Eine Stunde vor dem Spiel hatte er den Präsidenten darüber informiert, den Brief ihm am Tag danach übergeben, die beiden vereinbarten aber, alles vorläufig noch geheim zu halten. Informiert war – und mit ihm alles abgesprochen – Mario Widmer, der Chefreporter vom «Blick», ein enger Freund.
Wolfisberg tauchte ab. Und am Freitag, zwei Tage nach dem Spiel, brachte der «Blick» die Schlagzeile: «Wolfisberg: Rücktritt!» Widmer hatte sich nicht mehr an die Geheimhaltung gehalten, weil er glaubte, andere wüssten inzwischen auch etwas davon. Wolfisberg, der, gekränkt durch das Verhalten von einigen Verbandsfunktionären und beleidigt wegen Zeitungskritiken, mit seinem Schreiben auch pokern wollte, musste also in seinem Blatt lesen, dass er endgültig zurückgetreten sei.
Er versteckte sich mit seiner Frau in Santa Margherita an der ligurischen Küste, und zufällig traf er dort Roger Schawinski, damals Chef von Radio 24. In einer Bar redete Wolfisberg seinen Frust von der Seele, rechnete mit allen ab, sehr persönlich, und Schawinski verbreitete eine Zusammenfassung des langen Gesprächs über seinen Sender. Wolfisberg erschrak, als er davon hörte – und liess sich von seinem Freund Widmer ein Dementi aufsetzen, das dann über die nationale Sportagentur verbreitet wurde.
Schon tags zuvor, vor dem Spiel, hatte er zuhanden des Präsidenten des Fussballverbandes sein Kündigungsschreiben in eine Schreibmaschine getippt, in zwei Versionen, die eine enthielt im Falle eines Sieges den Zusatz: «Damit übergebe ich Ihnen die Nationalmannschaft in einem besseren Zustand, als ich sie übernommen habe.» Eine Stunde vor dem Spiel hatte er den Präsidenten darüber informiert, den Brief ihm am Tag danach übergeben, die beiden vereinbarten aber, alles vorläufig noch geheim zu halten. Informiert war – und mit ihm alles abgesprochen – Mario Widmer, der Chefreporter vom «Blick», ein enger Freund.
Wolfisberg tauchte ab. Und am Freitag, zwei Tage nach dem Spiel, brachte der «Blick» die Schlagzeile: «Wolfisberg: Rücktritt!» Widmer hatte sich nicht mehr an die Geheimhaltung gehalten, weil er glaubte, andere wüssten inzwischen auch etwas davon. Wolfisberg, der, gekränkt durch das Verhalten von einigen Verbandsfunktionären und beleidigt wegen Zeitungskritiken, mit seinem Schreiben auch pokern wollte, musste also in seinem Blatt lesen, dass er endgültig zurückgetreten sei.
Er versteckte sich mit seiner Frau in Santa Margherita an der ligurischen Küste, und zufällig traf er dort Roger Schawinski, damals Chef von Radio 24. In einer Bar redete Wolfisberg seinen Frust von der Seele, rechnete mit allen ab, sehr persönlich, und Schawinski verbreitete eine Zusammenfassung des langen Gesprächs über seinen Sender. Wolfisberg erschrak, als er davon hörte – und liess sich von seinem Freund Widmer ein Dementi aufsetzen, das dann über die nationale Sportagentur verbreitet wurde.
Der «Blick» brachte einen von der Zeitung selber geschriebenen Brief, in dem sich die Spieler schockiert vom Rücktritt ihres Coachs zeigten, «Jetzt reden die Spieler vom Streik» war die Schlagzeile. Die «Solothurner Zeitung» lancierte auf Initiative von Dölf Ogi eine Petition «Pro Wolfisberg», über 11 000 unterschrieben, darunter 23 Nationalräte. Der Verband reagierte unter dem Druck der öffentlichen Meinung, man sprach sich aus, für Wolfisberg hatte der Ball wieder eine andere und nun die richtige geometrische Form, und er versöhnte sich mit allen, auch den herzlosen Journalisten.
Mit ihm gewann die Schweiz auch das nächste Spiel, 1:0 gegen Dänemark in Bern, aber auch unter Wolfisberg schaffte es die Schweiz später nicht, sich endlich wieder einmal für eine Endrunde zu qualifizieren.
Mit ihm gewann die Schweiz auch das nächste Spiel, 1:0 gegen Dänemark in Bern, aber auch unter Wolfisberg schaffte es die Schweiz später nicht, sich endlich wieder einmal für eine Endrunde zu qualifizieren.
Er war 1981 als Nationalcoach angetreten, anfänglich nur interimsweise und für vier Spiele, er war daneben nicht nur weiterhin Architekt, sondern auch Coach des FC Luzern. Nach fünfzig Spielen trat er zurück, mit einer positiven Bilanz zwar, nur vierzehn Niederlagen, aber zuletzt eben auch gescheitert.
Das Inserat im «Tages-Anzeiger»:
Das Inserat im «Tages-Anzeiger»:
Der Trainer der anderen und der Trainer des «Blick»
Sein letztes Spiel gegen Norwegen, im November 1985 bei starkem Schneefall auf seiner Allmend in Luzern, als Kopfbedeckung trug er damals eine FCL-Kappe, war jedoch nicht sein endgültiger Abschied. Er kam noch einmal zurück. «Der Wolf muss wieder her!», forderte der Blick im April 1989, als die Schweiz unter Daniel Jeandupeux nicht weiterkam. Wolfisberg liess sich überreden, für ein Spiel der letzten Chance gegen die Tschechoslowakei. Das Boulevardblatt schaltete im «Tages-Anzeiger» ein ganzseitiges Inserat, oben «Der Trainer der anderen» und ein Bild von Jeandupeux, unten «Der Trainer des ‹Blick›» und ein Bild von Wolfisberg.
Uli Stielike, der nachher die Nationalmannschaft übernahm, war gegen die Tschechen sein Assistent. «Das Spiel, ein Ziel – der Sieg», so der «Blick» – es ging 0:1 verloren und damit wieder eine Hoffnung auf eine WM. Mit einem Mantel unter dem Arm, wie ein Reisender, verliess Wolfisberg das Wankdorf, diesmal war es ein endgültiger Abschied. Er wurde später «Blick»-Kolumnist, Sven Hotz wollte ihn einmal als FCZ-Trainer verpflichten, vergeblich, einmal war er noch Coach, und er rettete den FCL mit Timo Konietzka als Assistenten vor dem Fall in die Abstiegsrunde. Es war ein Liebesdienst gewesen.
Luzern war sein Klub, als Spieler und Captain war er 1960 Cupsieger geworden, er war während Jahren einer der besten Schweizer Regisseure und Stürmer, als nebenamtlicher Trainer und ohne die höchsten Diplome führte er den Club zurück in die Nationalliga A wie auch Buochs und Kriens jeweils in die Nationalliga B.
Volkstümlich und humorvoll, salopp und unkompliziert
– aber immer unbequem für die Funktionäre
Die Spieler liebten den Trainer Wolfisberg. Er führte sie an der langen Leine, behandelte sie nicht wie Kinder, sondern wie erwachsene Männer. Er stellte sich immer vor seine Mannschaften und gab Vertrauen, er war auch keiner, der an der Seitenlinie herumsprang und schrie, sondern meist ruhig und besonnen, mit viel fussballerischem Instinkt. Und er war volkstümlich und humorvoll, salopp unkompliziert, aber immer auch unbequem für die Funktionäre, weil eigenwillig und auch unkonventionell.
Er hatte im Schweizer Fussball einiges bewegt, die Wölfe waren unter ihrem Leitwolf in der Öffentlichkeit beliebt, auch wenn er bei den grossen Zielen scheiterte wie alle anderen Trainer 20 Jahre vor ihm und auch danach, bis 1994 mit Roy Hodgson.
Paul Wolfisberg lebte zuletzt wieder in Horw an der Schulhausstrasse, wo er aufgewachsen war. Er hatte, nachdem er als Nationalcoach ein erstes Mal zurückgetreten war, privat schlimme Zeiten durchmachen müssen. Sein Sohn Eric war Anfang 1987 bei einer Reise auf die Philippinen verschollen. Wolfisberg reiste zweimal auf die ferne Insel, suchte nach seinem Sohn, er ist, auch wenn es dafür keine offizielle Bestätigung gibt, offenbar in einem Gebiet auf dem Meer mit gefährlichen Strömungen mit seinem Boot gekentert und ertrunken. 2008 starb Wolfisbergs Frau, mit der er 51 Jahre verheiratet war, auf den Grabstein ist auch der Name Eric gemeisselt, es gibt aber dazu kein Todesdatum, es steht nur: «Er ist verschollen.»
Wolfisberg war bis zuletzt recht mobil, teilweise mit einem Rollator unterwegs, er kaufte selber in der Migros ein, war täglich in den Horwer Cafés und las die «Luzerner Zeitung». Er jasste gern, ging mit Freunden immer wieder auf Fussballreisen und erzählte in solchen Momenten gern und ausschweifend von den alten Zeiten, dem FCL, Buochs und natürlich seinen «Wölfen« – besonders gern über sein Comeback für ein Spiel 1989, als «Trainer des «Blick».
Paul Wolfisberg lebte zuletzt wieder in Horw an der Schulhausstrasse, wo er aufgewachsen war. Er hatte, nachdem er als Nationalcoach ein erstes Mal zurückgetreten war, privat schlimme Zeiten durchmachen müssen. Sein Sohn Eric war Anfang 1987 bei einer Reise auf die Philippinen verschollen. Wolfisberg reiste zweimal auf die ferne Insel, suchte nach seinem Sohn, er ist, auch wenn es dafür keine offizielle Bestätigung gibt, offenbar in einem Gebiet auf dem Meer mit gefährlichen Strömungen mit seinem Boot gekentert und ertrunken. 2008 starb Wolfisbergs Frau, mit der er 51 Jahre verheiratet war, auf den Grabstein ist auch der Name Eric gemeisselt, es gibt aber dazu kein Todesdatum, es steht nur: «Er ist verschollen.»
Wolfisberg war bis zuletzt recht mobil, teilweise mit einem Rollator unterwegs, er kaufte selber in der Migros ein, war täglich in den Horwer Cafés und las die «Luzerner Zeitung». Er jasste gern, ging mit Freunden immer wieder auf Fussballreisen und erzählte in solchen Momenten gern und ausschweifend von den alten Zeiten, dem FCL, Buochs und natürlich seinen «Wölfen« – besonders gern über sein Comeback für ein Spiel 1989, als «Trainer des «Blick».
Wolfisberg verstarb am Montagnachmittag 87-jährig nach einem Herzversagen. Am Morgen war er noch in seinem Café in Horw gesessen.
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