Fliegen mit Bob im Ohr


Biken und sich frei fühlen: Juni 2020, Küsnachter Tobel.


Ich fliege. So fühle ich. Oder nicht ganz. Manchmal muss man alt oder zumindest älter werden, um Neues zu entdecken. Ich schwebe. Auch nicht ganz. Aber irgendwie schon. Über Steine, über Kies, über Asphalt, über Sträucher, über Wurzeln, über Sand – über Wege, schmale, breitere, sehr schmale manchmal.

Es ist früh am Morgen, ich wusste gar nicht, dass man so früh am Morgen solches empfinden kann, ich sass sonst früh am Morgen oder wenigstens irgendwann am Morgen meistens in einem Café, Tagi, NZZ, anderes oder den Laptop vor mir oder habe mir einfach Gedanken gemacht, die vielleicht zu einem Text führten.

Ein «Meisterwerk» schreibt die «NZZ» über das 39. Album von Bob Dylan.

Jetzt aber kommen keine Gedanken oder ganz andere, ich fliege, ich schwebe, zwischendurch schwitze* ich, und im Ohr Bob Dylan. Sein neues Album, sein 39. schon, 71 Minuten lang, 10 Songs, «ein Meisterwerk» schreibt die NZZ über den Altmeister, 79 ist er, und er hat alle wieder verblüfft, mit schlichtweg grossartigen Songs. «Rough And Rowdy Ways» heisst das Album, mit vielen Gedanken und Erzählungen, über das Leben und die Liebe, und vielen Verknüpfungen.

«Key West», ein Song aus Dylans neuem Album, das Altersheim Florida als Paradies. (Youtube)

Ich fliege, ich schwebe, und ich höre, vor mir kommt eine Lichtung, die morgendliche Sonne, der Tag erwacht, das Lied «Key West (Philosopher Pirate)», eine wunderschöne Ballade, Key West sei der Ort zum Sein, wenn du auf der Suche nach der Unsterblichkeit bist, singt Dylan, Key West sei ein göttliches Paradies und wenn du den Verstand verloren hast, wirst du ihn dort finden.

Ich radle, ich bike*, so sagt man heute, früher sagte man einfach, man fahre querfeldein, und ich erinnere mich als ich klein war, zehn vielleicht. Mein Vater hatte ein schwarzes Velo, Stahlross sagten wir ihm, es war gross und schwer und hatte, glaube ich, nur einen Gang, höchstens zwei, es war schwer zu lenken, der Sattel viel zu hoch gestellt für mich, aber eines morgens bin ich mit ihm losgefahren, einfach so, ich wollte es einmal versuchen. Der Vater durfte nichts wissen. Natürlich fiel ich um, wahrscheinlich schon in der ersten Kurve, das Velo hatte aber schon viele Kratzer.

Glücklich unterwegs über Hürden: Juni 2020, Küsnachter Tobel.

Ich fliege, ich schwebe, ich geniesse, schon lange nicht mehr habe ich einen frühen Morgen so genossen, zwischen Bäumen und auch im Tobel entlang eines Baches, Menschen mit Hunden kommen manchmal entgegen, sie scheinen beide zu lächeln, ich grüsse, sie grüssen, die Hunde wedeln zumindest fröhlich, und ich radle weiter, einfach so, ziellos, wohin mich der nächste Weg führt, unten ist irgendwo der See, doch er scheint immer weiter weg, Kühe weiden irgendwo, es ist traumhaft.

Ich weiss, es tun es inzwischen fast alle, und in diesen Zeiten haben es viele entdeckt, auch wieder entdeckt, wie ich. Ich fühle mich frei. In der Natur.

Mit Bob im Ohr. Manfred Papst schreibt dazu in der «NZZ am Sonntag»: «Wir hören einen musikalischen Gleitflug, der als Roadtrip daherkommt, der in die Unsterblichkeit führt, während im Hintergrund windschiefe Stosseufzer himmelwärts fahren. Ist das das Ende? Nein. Noch reagiert im Rentnerparadies Florida der Unruhezustand.»

Im Paradies, und so fühle ich mich, jetzt an diesem Morgen. Irgendwann wird Dylan sein 3067. Konzert auf seiner «Never Ending Tour» geben, am liebsten würde ich dann hinradeln, wohin auch immer. «I'm traveling light and I'm a-slow coming home» singt Dylan in einem Lied auf dem neuen Album, ähnliches hat schon Leonard Cohen gesagt: Ich reise mit leichtem Gepäck und komme nur langsam zur Ruhe.

*Biken. *Schwitzen. Es ist, es sei offengelegt, ein E-Bike, aber ich schwitzte zwischendurch trotzdem.

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