Damals, mit dem Transistorradio am Ohr


Einst: Fussballreportagen am Transistorradio.

Zusehen, wenn im Stadion niemand zusehen darf?

Es macht Mühe. Die Konzentration lässt nach, es fehlt etwas, auch wenn das Spiel, das reine Spiel, der Ball und die Spieler, am TV besser zu sehen ist, abgelenkt durch nichts, ohne Kameraeinstellungen, die ins Publikum schwenken, ohne grosse Emotionen, mit Spielern, die kein Theater machen müssen, weil ausserhalb des Rasens niemand schreit oder tobt, nur ihre Zurufe sind zu hören. 


Sie haben nur den Ball, keine Bühne, vor der sie sich aufspielen müssen, und sie bejubeln ihre Tore weniger selbstverliebt; die Schiedsrichter wirken viel souveräner, ihre Entscheide werden nicht lautstark und mit Protesten kritisiert und von den Spielern einfach so entgegen genommen. Man hört Vögel zwitschern, sagt der Sky-Kommentar. Vielleicht pfeift es auch nur in seinem Kopfhörer.

Heute: Reporter bei Geisterspielen. Sender Sky, Mai 2020.

Ich denke, wie es damals war, früher als Kind, an den Sonntagnachmittagen, der Spaziergang mit den Eltern, immer Pflicht. Und es wurde mir erlaubt, wenigstens den Transistorradio mitzunehmen – war es ein Sony oder ein Philips? - eckig, dunkelgrau, die Antenne rausgezogen. Und so lief ich an grünen Wiesen vorbei, einige Meter hinter den Eltern, «komm endlich!», riefen sie manchmal, und vielleicht zwitscherten auch die Vögel, aber ich hörte sie nicht, denn ich hatte dieses kleine Radio am Ohr, hörte die Sendung «Sport und Musik», die es damals auf dem Sender Beromünster gab, ab 15.30 Uhr. 


Ersatzbank bei Geisterspielen: Berlin, Mai 2020.


Sepp Renggli moderierte, und er schaltete nach Bern oder Basel oder Zürich oder Genf. Gody Baumberger, wie konnte er uns begeistern, Jean-Pierre Gerwig, der Mann, der auch Schauspieler war, und sein Witz, manchmal Vico Rigassi, dreisprachig, auf Berommünster, Sottens  und Monte Ceneri, oder Hans Sutter, seine sonore Stimme und sehr nüchtern, waren im Stadion und liessen uns teilhaben an den Spielen. Und zwischendurch immer Musik, die mich damals wenig interessierte, ich wartete sehnlichst, bis Renggli wieder in ein Stadion schaltete. 


Jubel bei Geisterspielen, Müller mit Bayern-Trainer Flick: Berlin, Mai 2020.

Wir beneideten die Reporter, die beim Spiel dabei sein durften, mit dem Radio am Ohr stellten wir uns vor, wie es ist dort. Und die Gerwigs und Baumbergers liessen uns alle Phantasien zu, wir verzweifelten, hofften, bangten und jubelten mit ihnen, vielleicht war es gar nicht so dramatisch und spannend, wie sie es uns schilderten, der Ball noch weit vor einem Tor weg, aber es war live, echt, und wir waren dank ihnen dabei, am Ohr.

Jetzt bleiben uns für die Augen nur Geisterspiele. Und es hat keinen Platz für Phantasie. Es ist nur surreal.

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