75 – ein Glas Wein. Und sein Garten.



Jupp Heynckes auf seinem Landhof: Fischeln, Mai 2020.

Interviews mit Trainern fanden fast immer in ihren Kabinen im Stadion, in irgendeinem Büro oder vielleicht Restaurant oder in einer Hotellobby statt. Bei Jupp Heynckes war es anders, damals vor fast genau sechs Jahren. «Kommt zu mir nach Hause», sagte er, «hier können wir in Ruhe reden.»

Sein zu Hause war nicht leicht zu finden, trotz Navi im Auto. Schwalmtal heisst der Ort, am Niederrhein im Westen von Nordrhein-Westfalen, 40 Kilometer von Düsseldorf entfernt; Fischeln ist ein Ortsteil, viel Grün, viel Natur, dichte Wälder, nur wenige Leute wohnen hier, weit auseinander die Häuser. Irgendwie, nach zwei Telefonaten, schafften wir es, seinen umgebauten Landhof zu finden, Heynckes stand am Eingangstor, sein Hund Cando bellte, er zeigte uns zuerst seinen wunderbaren Garten, das weitläufige Gelände, die Rosen, die er selber züchtet, die vielen Blumen, es blühte alles, es war anfangs Mai, und dann führte er uns zu seinem Teich mit den vielen Fischen und vor allem dem kostbaren Koi-Karpfen. Philippo hatten ihn die Heynckes getauft, weil er ihn von Captain Philipp Lahm als Abschiedsgeschenk der Spieler von Bayern bekommen hatte. Heynckes war stolz.

Er war damals 69. Ein Jahr zuvor hatte er mit Bayern alles gewonnen, Meisterschaft, Cup, Champions-League, ein Triple-Trainer, doch jetzt, sagte er, sei Schluss, endgültig, er wolle nur noch geniessen, lange Spaziergänge machen, manchmal ein Konzert besuchen, sich um Haus und Garten kümmern, Tiere beobachten, Marmelade einkochen.


Das erzählte er uns alles, er hatte uns in den ersten Stock seines Hauses geführt, in sein Arbeitszimmer mit dem grossen Pult, dem schwarzen Sofastuhl, in den er sich jeweils setzt, um auch den Fussball nur noch zu geniessen, vor dem Bildschirm, samstags, punkt halb vier, da sei er immer hier, da dürfe ihn niemand stören. Er sass dann auf seinem Bürostuhl und redete, hinter ihm eine Vitrine mit all den Pokalen, die er gewonnen hat, es sind viele.

Heynckes sagt, dass diese Zeiten zeigen, «dass wir verwundbar und nicht unbesiegbar sind» - auch der Fussball müsse seine Lehren daraus ziehen.

Heynckes sagte damals «nie mehr», und wie oft im langen Fussballerleben von Heynckes, war das “nie mehr” doch nicht endgültig, die Bayern in München waren im Herbst 2017 wieder in Not, und wenn sie in Not sind, weil es mit einem Trainer nicht mehr weitergeht, denken die Münchner an ihn, denkt vor allem Uli Hoeness am Tegernsee an seinen Freund. Heynckes verliess seinen Hof nochmals, sein Hund habe geheult vor Abschiedsschmerz, und er wurde mit Bayern nochmals Deutscher Meister, zum vierten Mal.



Zwei Freunde, Jupp Heynckes beim Abschied von Uli Hoeness als Bayern-Präsident: München, 2019.

Jetzt ist es der Mai 2020. Und in diesen Tagen gab Heynckes zwei grosse Interviews, in der «Welt am Sonntag» und im «Kicker», und er erzählt wieder von seinem schönen Leben, seinem Hof, seinem Garten, seinen Spaziergängen, wie er sich an Vögeln, Rehen oder Kaninchen erfreut, wie er täglich in seinem Pool 40 Minuten schwimmt und sich dabei wie Mark Spitz fühlt. Nur Cando und Philippo gibt es nicht mehr, sie sind gestorben.

Und er sagt, dass er beim Einkaufen eine Maske trägt, in diesen schwierigen Zeiten, die uns zeigen, «dass wir Menschen verwundbar und nicht unbesiegbar sind», und er hoffe, dass wir daraus die richtigen Lehren ziehen und dass dies besonders auch der Fussball tue, er spricht von Ich-AGs und Egoismus. Er macht sich Sorgen. Er sagt, dass er schon gedacht habe, bei einer Klimademonstration mitzumaschieren, er kann Missstände und Ungerechtigkeit nicht ertragen.


Heynckes, der eigentlich ein Josef und kein Jupp ist, wird an diesem Samstag 75. Er ist einen Tag nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geboren, als neuntes von zehn Kindern. Seine Eltern lebten von ganz wenig, der Vater war Schmied, sie hatten 35 Zentner Kartoffeln eingekellert, hatten auch Hühner, es gab praktisch jeden Tag nur Bratkartoffeln mit Spiegelei und Gemüse aus dem Garten, aber «man war froh, etwas zu essen zu haben». Diese Zeit hat ihn als Menschen geprägt. Er hat mit einer Schweinsblase oder einem Wollknäuel angefangen, in den Hinterhöfen Fussball zu spielen.


Ein Mann, der die alten Werte verkörpert, Verlässlichkeit, Anstand und sich doch immer wieder angepasst hat.

Er sagt, er habe aber nie etwas vermisst, aber er habe gelernt, was es heisst, zu kämpfen, und er wollte immer nur eines: Fussballer werden, Ferenc Puskàs war sein grosses Vorbild. Heynckes hat alles selber erreicht, als Spieler wie als Trainer, selber erarbeitet. Mit 34 wurde er der jüngste Trainer in der Bundesliga. Er sagt, die Psyche der Spieler zu erreichen, sei etwas vom Wichtigsten, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Er tat es, er war für sie Trainer, aber auch Freund und Vater, bei aller Distanz, die ihm wichtig war.

Es gibt wenige andere Trainer, die mich so beeindruckt haben. Mit seiner Bescheidenheit, seiner Empathie, seiner Korrektheit – ein Mann, der die alten Werte verkörpert, Verlässlichkeit, Anstand und viel Disziplin, und sich doch immer wieder angepasst und entwickelt hat. Udo Lindenberg, der Rocker, gehört zu seinen Freunden. Seit 1967 ist er mit seiner Frau Iris verheiratet; als sie 2004 an Krebs erkrankt war, hat er als Trainer anderthalb Jahre aufgehört, um sie pflegen zu können.

Am Samstagabend, seinem 75. Geburtstag, sitzt Jupp Heynckes zu Hause. Seine Frau kocht für ihn. Und bei einer guten Flasche Wein wollen sie reden, über heute, über gestern. Dankbar für ihr schönes Leben. Fussball gibt es erst eine Woche später wieder am Fernsehen. Dann aber wird er sich im ersten Stock in seinem Sessel bequem machen. Und nicht gestört werden wollen. 

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