In diesen Zeiten – XXVII. bis XXIX.





Bob Dylans neues, episches Lied: 17 Minuten lang!

XXVII.

Vielleicht braucht es diese Zeiten, um so ein Lied anzuhören, man hat Zeit dafür. Fast 17 Minuten dauert es. Eine Ballade mit 15 Strophen, keine Refrains, mit Klavier und Streichern und viel, viel gesprochenen Worten, mehr Gedicht als Gesang.

Bob Dylan, 78, der seit unendlichen Jahren auf seiner Never Ending Tour ist und seit langem keinen eigenen Song mehr veröffentlicht hat, nur noch Cover-Versionen, ist zurück. «Murder Most Foul» heisst sein Werk. Es kreist um den 22. November 1963, den dunklen Tag, als John F. Kennedy in Dallas ermordet wurde, es ist ein langes Lied oder eben Gedicht über die 60er-Jahre, mit den amerikanischen Träumen, die platzten.

Schon das Amerika vor 57 Jahren, als es um Kennedy weinte, ist wohl eine Illusion gewesen, es geht im Text auch um das Vertrauen in die Wahrheit, um Verschwörungstheorien, Dylan fragt an einer Stelle: «What is the truth, and where did it go?» Die Zeit des Bösen habe 1963 begonnen, es sei etwas faul in diesem Lande, bis heute. Der Name Trump fällt nicht, aber hören und lesen kann man es so. Und deshalb ist es vielleicht kein Zufall, dass Dylan «Murder Most Foul» jetzt veröffentlichte, geschrieben hat er es schon vor Jahren.



Ganz viele und vieles kommen im Lied vor, über 75 Songs werden erwähnt, von den Beatles, John Lee Hooker, Billie Holiday, Buster Keaton, Ray Charles, Elvis Presley, Joan Baez, Billy Joel, The Eagles, Ella Fitzgerald, Woody Guthrie, Charlie, Wanda Jackson, Marilyn Monroe, selbst Beethoven, «play Monolith sonata» bittet Dylan den DJ. «Murder Most Foul» ist ein Zitat aus Shakespeares Hamlet, in seiner Rede zum Nobelpreis hatte Dylan geschrieben: «Was ich in dem Songs versucht habe, ist ungefähr das, was Shakespeare im Theater versucht hat.»

Auf seiner Homepage hat Bob Dylan seinem epischen Song eine persönliche Nachricht beigefügt, er wünscht uns Gesundheit, wir sollen sicher bleiben und aufmerksam: «Möge Gott mit euch sein.»

Der letzte Vers endet mit der Bitte «Play, Murder Most Foul». Der 16-Minuten-57-Sekunden-Song, der 1370 Wörter hat, wie jemand zählte, soll also nie aufhören, immer wieder von Neuem beginnen. Seine Never Ending Tour ist unterbrochen, wie alles in diesen Zeiten. Jetzt kann man Dylans neues Lied unendlich lang hören.

XXVIII.

1963, man hat Zeit, sich zu erinnern, wenn man Zeit hat wie jetzt, und 1963 bleibt mir auch ein Tag ewig in Erinnerung, ein Tag im April. Ich war ein Kind, zum ersten Mal durfte ich ausserhalb von Küsnacht und Zürich an ein Fussballspiel, nach Bern, ins grosse Wankdorf. Der Cupfinal, damals fand er immer in Bern statt, immer an einem Ostermontag, ich habe nachgesehen, es war der 15. April, also fast genau vor 57 Jahren.


Charly Elsener, der Torhüter im grünen Pullover, an der Wand im Kinderzimmer: Küsnacht, 1963. 

Das Geschenk von Charly Essener: Unterschrift auf dem grünen Pullover.
Mein Grossvater, dank dem ich die Liebe zum Fussball entdeckt hatte, nahm mich mit, mit dem Zug fuhren wir hin. Ich war so aufgeregt, denn ich wusste, der Mann mit dem grünen Pullover stand bei den Grasshoppers im Tor, Charly Elsener, von dem ich in meinem Zimmer Bilder aufgehängt hatte, er war mein Idol.



Wir sassen im Wankdorf ganz unten, nahe an der Seitenlinie, das Stadion war voll, und ich habe, glaube ich, während des ganzen Spiels fast nur auf ihn geschaut, den Torhüter in Grün. Ich war, das weiss ich noch, sehr traurig, als wir wieder nach Hause fuhren. An das Resultat erinnere ich mich nicht mehr – ich musste nachsehen: GC - Basel 0:2. Elsener, er war Captain, und er war bei den Toren sicher machtlos gewesen; bei Basel spielte auch Odermatt mit, 20 war er damals.

Charly Elsener, rechts, GC-Captain beim Cupfinal 1963 in Bern.

XXIX.

Und ein drittes Mal 1963. Die Erinnerung an den ganz zugefrorenen Zürichsee. Vom 1. bis zum 20. Februar, von Rapperswil bis Zürich, auf 30 Kilometern: Eine einzige Eisfläche, 150'000 Menschen tummelten sich einmal an einem Wochenende darauf, die «Zürichsee-Zeitung» druckte ein Extrablatt, die «Seegfrörni-Poscht». Wir stellten vor dem Hotel Sonne in Küsnacht zwei Tore auf, rannten nach der Schule sogleich auf den See, reinigten das Eis mit einer Schaufel und spielten Hockey bis es dunkel wurde und wir den Puck nicht mehr sahen.

1907, 1929 und 1963, es wird wohl nie mehr eine Seegfrörni geben. «Beim Ertönen von Alarmsirenen ist die Eisfläche sofort zu räumen», überall wurden damals am und auf dem See solche Plakate aufgestellt.


Der Autor auf dem zugefrorenen See: Küsnacht im Februar 1963.

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