Gedanken an einem fast sommerlichen Tag

Ein Kaffee draussen an der Tramhaltestelle: Zürich-Seefeld, im April 2020.

Man gewöhne sich an alles, und es sei ja vieles ganz gut, sagt eine Frau beim Kaffeetrinken draussen auf dem Trottoir der Bäckerei Wüst im Zürcher Seefeld. Wir gewöhnen uns daran, wie es ist, weil wir uns an alles gewöhnen, wenn es längere Zeit unser Alltag ist. Und gewöhnen uns vielleicht auch daran, weil wir wirklich finden, es sei ja gar nicht so schlecht, wenn wir uns an manches gewöhnen und es dann nicht vergessen sollten, wenn das andere Leben einmal wieder kommt.

Es wäre besser, neu anzufangen als zu hoffen, es würde wieder so sein wie einst, und wir sollten aufhören, das zerbrochene Alte wieder herbei zu sehnen. So denken viele. Wobei wir sowieso verdrängt haben, dass in unserer Welt doch schon vorher ganz vieles nicht mehr stimmte.

Die Katastrophe ist schon längst da, das Coronavirus macht sie einfach noch schlimmer.
Und wenn ich das so schreibe, muss ich sofort einschränken: Für ganz viele bei uns ist das, wie es momentan ist, ganz schrecklich und bedrohend. Viele kämpfen um das Überleben, es geht um ihre Existenz. Der Virus macht Angst, und es macht Angst, was nach dem Virus kommt.

Und ich lese im neuesten «Magazin» den Text von Christof Gertsch über das Drama auf den ostägäischen Inseln Samos, Lesbos oder Kos, auf denen 40'000 Menschen auf einen Asylentscheid warten. Es sind eindrückliche Schilderungen von Schweizer Helferinnen und Helfer. Was ist, wenn sich der Virus in ihren Camps verbreitet, bei den Geflüchteten, die stundenlang für ihr Essen anstehen müssen? Abstand halten, zu Hause bleiben und ständig Hände waschen, wie sollen sie das umsetzen können? Sie, die auf engstem Raum zusammengepfercht sind, dreissig Menschen in einem Container?

Die Katastrophe ist schon längst da, das Coronavirus macht sie einfach noch schlimmer, sagt ein Helfer aus Burgdorf auf der Insel Lesbos. Und in der Tagesschau kommen Bilder aus Indien, sie zeigen Wanderarbeiter, die nach Hause wollen, zu ihren Familien, aber nicht dürfen, vom Militär daran gehindert werden.


Und wir hier, haben wir das Recht zu klagen, es sei so schlimm wie noch nie? Das schlimme Elend ist weit weg.


Jeder Stein hat seine eigene Geschichte: Küsnachter Wald, im April 2020.

Im Leitartikel des neuen «Spiegel» steht, dass wir erst am Anfang der Pandemie stehen würden. Wir müssten bis 2022 damit leben, und das sei keine Panikmache, sondern ein realistisches Szenario. Es sei wissenschaftlich fatal, den Shutdown jetzt zu lockern. Er müsste eher verschärft werden.

Wir müssen uns an ganz vieles gewöhnen, und ganz vieles wird unangenehm sein. Aber immer noch viel angenehmer als anderswo. Wir glaubten, wir hätten alles im Griff. Wir haben es nicht. Nicht in unseren Händen.

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