ctrl. alt. delete

Damals am 3. März 2004 und jetzt wieder am TV: Zürich, Cup-Halbfinal im alten Hardturmstadion.

Ich sitze da, es ist ein schöner Abend, zuvor blieb ich lange auf dem Balkon, schaute der Sonne zu, die langsam hinter dem Uetliberg verschwand, ein Sommerabend im April, und dann setzte ich mich doch noch vor den Fernseher.

Ganz entspannt. Ich weiss ja: 6:5 endet es.

Der FC Zürich führt in diesem Cuphalbfinal 5:2; als ich mich hinsetzte, zeigt es am Bildschirm die 70. Minute an. GC stürmt, der FCZ, nur noch zu zehnt, verteidigt. Aber klar: alles klar.

Es ist inzwischen die 83. Minute. Immer noch 5:2. Ruefer, der Fernsehsprecher, schwafelt etwas, es kämen schwierige Zeiten auf GC zu.


Das Video zum unvergesslichen Spiel (Quelle: Youtube)

Die Kamera zeigt die alte Hardturmtribüne, der wunderbare alte Hardturm, Tränen kommen fast, wenn man dies sieht, dieses schöne Stadion, das nie hätte abgerissen werden dürfen. Irgendwo auf dem Bild, das eingeblendet wird, auf der engen Pressetribüne, habe ich an jenem 3. März 2004 gesessen. Den Laptop vor mir, den Ellbogen vom Kollegen links ständig spürbar, ich fror, die Schreie der FCZ-Fans, «Finale, Finale», ich hatte praktisch fertig geschrieben. Schwärmte von Gygax, der drei Tore schoss, und von Favre, dem Trainer, den sie bei Zürich schon weghaben wollten, und von Bickel, der eigentlich gerne zurück zu GC gehen wollte und jetzt der neue Sportchef beim FCZ ist. Sie tanzten unten am Spielfeldrand gemeinsam.

Es kann nichts mehr passieren.

Ich war damals entspannt und bin es auch jetzt, an diesem Mittwochabend vor dem TV, denn ich weiss, es wird noch etwas passieren. Gygax, der Mann des Spiels, das schrieb ich doch, sitzt jetzt im TV-Studio.

5:3, 5:4, 90. Minute. Nicht doch?

Doch. 5:5, es gibt eine Verlängerung.

Ich schwitzte. Ich litt. Ich fluchte sicher. Ich musste neu schreiben. Die Finger zitterten.
Ich war damals nicht mehr entspannt, spürte allerdings auch den Ellbogen links und vielleicht auch den von rechts nicht mehr. Ich schwitzte. Ich litt. Ich fluchte sicher. Ich musste neu schreiben. Die Finger zitterten. Bald war Redaktionsschluss.

Es endete 6:5 - für GC, das 0:2 und 2:5 zurück gelegen hatte. Ruefer ist so verwirrt, dass er vom FCZ redet und GC meint. In der Flachpass-Bar im Letzigrund versammelten sich 100 FCZ-Fans und hörten die ganze Nacht Tom Waits.

Ein lieber Kollege hat mir zugeschickt, was ich damals in einer Kolumne vier Tage später geschrieben hatte: «Das letzte Bild an diesem Abend, in der Stunde vor Mitternacht. Lucien Favre, der Trainer, steht im engen Raum vor der Presse, versucht zu erklären, was nicht zu erklären ist, sucht nach Worten, die er nicht findet, sagt etwas und sagt doch nichts, steht da, blass und traurig, den Blick zum Boden oder irgendwohin ins Leere gerichtet: deprimiert, geschlagen, entsetzt, ein gebrochener Trainer, er spricht noch leiser als sonst, mehr zu sich als zu den ihn umringenden Journalisten. Wenig fehlt, und er würde weinen.»

Ich setzte damals den Titel «ctrl. alt. delete.»

Manchmal muss man im Leben alles wieder löschen.

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