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Es werden Posts vom Oktober, 2020 angezeigt.

Der Stille in der Stille

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Einst der Maestro, jetzt ein Mister: Andrea Pirlo, Trainer von Juventus: Turin, Oktober 2020. Fussballtrainer, die einst grosse Spieler waren und jetzt an der Seitenlinie stehen, erinnern uns an etwas, das war, an frühere Zeiten, es ist der Blick zurück, der wie immer auch etwas verklärt ist. Bilder kommen in den Kopf, Erinnerungen an einzelne Szenen, die man mit einem Namen verbindet, an Spiele, an unvergessliche Momente, manchmal auch, wenn Zinédine Zidane dasteht, elegant in seinem dunklen Mantel, an diesen Kopf, der seinem Fuss immer wieder geniale Einfälle diktierte, der sich aber einmal auch in die Brust eines gegnerischen Spielers rammte, es war das letzte Bild des Fussballers Zidane. An diesem Mitwochabend stand in Turin Andrea Pirlo an der Linie, seine langen Haare immer noch strähnig und wild, sein Bart noch etwas dichter, er sah damals mit 30 wie 40 aus, ist jetzt 41 und hat sich kaum verändert. Als Spieler war er ein Architekt mit dem geometrischen Auge, Maestro nannten sie

Lust auf Leben

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Fussball im fast leeren Stadion: Bern, 22. Oktober 2020, YB gegen AS Roma. Es war die Lust auf Fussball. Endlich, nach langen Monaten, wieder einmal live im Stadion. Sieben Stunden mit einer Maske unterwegs für 90 Minuten Fussball, von Küsnacht nach Bern, mit Zug und Tram zum Wankdorfstadion, YB gegen Roma, das ein Roma B war, und wieder zurück. Abstand überall, komische Begrüssungen, Gesichter, die man im ersten Moment nicht erkennt. Du spinnst, sagte einer, es wäre doch gemütlicher vor dem Fernseher, aber in diesen Zeiten haben wir ja kaum mehr Gelegenheit auszubrechen, live etwas zu erleben, vielleicht ist es ja wieder das letzte Mal für lange. Ich zögerte lange und ging doch. Und sass im Zug und schaute auf meinem Handy den Streamingdienst «Apple TV+», ein Freund hatte mir den Tipp gegeben, eine Dokumentation über das neue Album von Bruce Springsteen, das diesen Freitag erschienen ist. «Letter To You» heisst es, zwölf Songs, sie handeln von der Vergänglichkeit, vom Tod, von Mensche

Die Tasche im Lift

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Früher: Viele Karten und noch kein Navi im Auto. Ich stieg in ein Taxi, es war Fussball-WM und der Sommer 2002 in Japan, ich wollte von Oita, einer Hafenstadt im Süden auf der Vulkaninsel Kyushu, zurück nach Tokio fliegen, und ich sagte meinem Taxichauffeur «Airport», ich wiederholte es nochmals: «Airport», er sagte «hai, hai», er nickte und lächelte freundlich. Der Mann mit Mütze trug weisse Handschuhe und auch ein weisses Hemd, auch die Sitze im Taxi waren mit einem weissen Tuch bedeckt, er fuhr los, ich sah aus dem Fenster und dachte, es ist doch ein ganz anderer Weg in eine andere Richtung, als jene, aus der ich vier Tage zuvor zum Hotel gefahren bin. «Airport» sagte ich nochmals, er lächelte, «hai, hai»; dass dies «ja, ja» heisst, wusste ich inzwischen, Japaner sagen immer «hai, hai», oft auch drei- viermal nacheinander, und sie sagen es auch, wenn sie eigentlich «nein» meinen.  Er fuhr also unbeirrt weiter, ich zweifelte immer mehr, und eine Viertelstunde später hielt er an, es h

Texte machten damals eine Weltreise

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(Karikatur Felix Schaad) Er war Weltmeister. Europameister. Er hat viel gewonnen. Er war ein Name, nicht so klangvoll wie andere, er stand nicht für die Kunst im Fussball, nicht für die Tore, nicht für den Glamour, er war nicht der strahlende Held, den alle anhimmeln. Er passte eigentlich gar nicht in die Welt der Sieger, obschon auch er fast immer ein Sieger war. Und jetzt stand er in diesem Schreibwarenladen in München an der Ohlmüllerstrasse 9 nahe der Isar, ein kleiner Laden mit ganz viel drin, Schreibzeug eben, Schulsachen, jede Ecke war vollgestopft, auch Zeitungen und Magazine und Kaugummis gab es, und die Lottoscheine konnte man abgeben. «Guten Tag», sagte er damals hinter dem Ladentisch, es war noch früh am Morgen, freundlich und zurückhaltend, keine laute Stimme. «Was kann ich für Sie tun?» Ich wollte ihn einfach besuchen, an diesem Ort, in diesem Laden, seinem Laden, den er einst von seiner Tante übernommen hatte. Hans-Georg Schwarzenbeck, es war ein Frühlingsmorgen Ende der

Corona verschwinde

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Schulhausplatz: 1. Oktober 2020, Locarno. Ein Pausenplatz, wie es Tausende gibt, es ist zehn Uhr morgens an diesem ersten Tag im Oktober, Kinder schreien und lachen und spielen, wie an vielen solchen Orten, sie toben sich aus zwischen zwei Stunden. Das Schulhaus ist alt, es liegt an einer kleinen Gasse, die hinauf führt von der Altstadt Locarnos zum heiligen Berg der Madonna del Sasso, es hat zwischen der Häusern einen Hartplatz mit einem Netz dazwischen, einige spielen mit einem Ball auf zwei Handballtore. Die Mädchen haben sich rund um zwei Schaukeln versammelt, und plötzlich, erst verstehe ich es kaum, ein Mädchen hat nur laut geschrien, aber dann taten es andere auch, es tönte wie ein Chor, und jetzt waren die Worte deutlicher zu hören. «Corona se ne va», höre ich, immer wieder, immer lauter, wie ein Text aus einem Lied, Corona verschwinde, sie lachten dazu, aber es tönte, als wäre es ein Ritual. Ich überlegte: Tun sie das immer, in jeder Pause, vielleicht auch anderswo, war es spo