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Das Wunderkind

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Blog-Nr. 431 Mit 22 Jahren ein Bestseller: Nelio Biedermann und «Lázár» Bevor ich ihn lese, lese ich ganz vieles über ihn. In Besprechungen seines neuen Buches, in Interviews, Porträts, überall, er ist das grosse Thema. Höre das Tagesgespräch im Schweizer Radio , Diskussionen im Fernsehen. Und immer mit mächtigen Schlagzeilen. Das neue Wunderkind der Literatur. Der neue Thomas Mann. Die grosse Entdeckung. Shootingstar. Ein Held der Literatur. Das Schreibwunder. Vieles mehr noch. Die Nummer 5 der aktuellen Spiegel-Bestsellerliste. Nelio Biedermann, «Lázár» , sein Buch. Das Ereignis.  Und schon der Anfang, er wird überall zitiert, als Beispiel für den Sound des Buches. «Am Rand des dunklen Waldes lag noch der Schnee des verendeten Jahrhunderts, als Lajos von Lázár, das durchsichtige Kind mit den wasserblauen Augen, zum ersten Mal den Mann entdeckt, den er über seinen Tod hinaus für seinen Vater halten wird.» Ich habe viele andere Sätze von Nelio Biedermann im Buch angestrichen, Sätz...

«Ist er vielleicht hier?»

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Blog-Nr. 430 Notizen von der «schönsten Insel der Welt» Javier, wie meist in kurzen Hosen und mit einem T-Shirt, kein Gramm Fett am Körper, so scheint es, hetzt herum, sein tägliches Fitnessprogramm. Er telefoniert, nimmt Reservationen auf, trägt sie beim Eingang in das Buch ein, begrüsst, immer freundlich und lachend, und redet, sucht einen Tisch, findet stets einen, begleitet Gäste an den Platz, die Menükarten schon in der Hand, nimmt erste Bestellungen auf, wenigstens zum Trinken, rennt wieder weg, hektisch, bedient zwischendurch das Musikgerät, weil jemand Geburtstag hat, jeden Abend feiert jemand, oft sind es mehrere, «Happy Birthday» als Dauerhit, verabschiedet Gäste wieder, bedankt sich, Adiòs, Adiòs oder oft Tschüss, neue kommen. Und das während Stunden, jeden Abend ausser Sonntag, in seinem Lokal Can Mel an der Carrer Major, mitten im kleinen Dorf Cas Concos des Cavaller auf Mallorca, am Rande des «Hamburger Hügels». Es ist der Treffpunkt für fast alle im Südosten der Insel,...

Hornby an der Cala Santanyi

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Blog-Nr. 429 «Won, won»  – Ballfieber auf der Insel* Der Kellnerin fiel beinahe das Glas Rotwein aus der Hand, und sie wäre gestürzt. Am Nebentisch schrien sie entsetzt auf und verstanden die Welt nicht mehr. Und es hätte wenig gebraucht, und einer hätte nach der Policia gerufen. Es war Aufregung pur an diesem Sonntagabend kurz nach halb acht im «Hostal Playa» an der Cala Santanyi im Südosten der Insel Mallorca, einem Restaurant gleich neben dem Sandstrand. Einer war aufgestanden, was heisst aufgestanden? Wie von einem Seeigel gestochen, sprang er von seinem Stuhl hoch, er breitete die Arme aus, rannte los, als würde er gleich abheben, alle im Lokal schauten jetzt zu ihm, er rannte so durch die ganze Terrasse, schreiend, nur schreiend, als hätte er im Lotto eben eine Million gewonnen; er strahlte, jubelte, und nachdem er die hinterste Ecke des Lokals erreicht hatte, kam er zurück – jetzt ganz zahm, er entschuldige sich erst bei der Kellnerin, lächelte sie mit dem schönsten und kin...

Kitsch

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Blog-Nr. 428 Es ist Kitsch, ich weiss, Kitsch in rot oder rötlich oder rosa, ja, ja, ja! Tausendmal gemacht und erlebt, fotografiert auf der ganzen Welt. Man mag es nicht mehr sehen. Denkt man.  Alle tun es. Und ich will es doch immer wieder. Auch heute, an diesem Sommerabend im Herbst, Ende September. Zum vielleicht 1000. Mal, immer wieder irgendwo auf der Welt fotografiert, am meisten bei mir zu Hause in Küsnacht, in der Badi Kusen, mit dem Blick auf den Uetliberg oder die Stadt Zürich. Diesmal auf Mallorca, meiner Insel.  Alle Bars auf dieser Welt müssten so heissen Im Dorf Ses Covetes im Südosten, beim sandigen Strand Es Trenc am Meer. Habe die Bar «Esperanza» – welch ein Name, alle Bars dieser Welt sollten so heissen – nach dem zweiten Negroni und einem schönen Gespräch mit Freunden, zufällig getroffen, vorher nicht gekannt, fast zu spät verlassen, bin losgerannt, den kurzen Weg runter zum Meer, fast gestolpert mit den Flip-Flops. Dieser Himmel! Dieses Licht! Diese Farb...

Besseres Leben

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Blog-Nr. 427 Ein Buchtipp – über  99 Menschen von Ulrike Gastmann Facebook sei ihr Studio für Heim, Wald und Wiese, sagt sie. Und auf der Plattform, auf der manchmal viel Kurzes und auch Belangloses steht, schreibt Ulrike Gastmann immer wieder, eigentlich sehr oft, lange und schöne Texte, irgendwelche Gedanken, was sie erlebt, beobachtet oder gefühlt hat. Auch ganz aktuell, wie diese Woche nach dem Tod der italienischen Schauspielerin Claudia Cardinale . Gastmann begann so: «Sehr bewunderte und verehrte Signora Cardinale. Gestern sahen wir Sie wieder einmal aussteigen. Diesmal nicht im staubigen Sweetwater, im Italo-Western, sondern bedauerlicherweise aus der Geschichte selbst. Und irgendwie weiss man auch nachrufend wie immer nicht, wovon man bei Ihnen zuerst anfangen soll zu schwärmen, von Ihrer Schönheit, ihrem Stil, Ihrem Blick, Ihrer Stimme …?» Und der Text endete damit: «Und jetzt, nach 87 Jahren, prall gefüllt mit Leben und Wildheit, ist der Vorhang gefallen. Und das Publik...

100 Jahre Letzigrund

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Blog-Nr. 426 Geschichten zu einem Jubiläum Ein Bild ist im Kopf, es war vor sehr langer Zeit, ich war noch ein Kind. Ich kann das Foto aber vorerst nicht finden, in einem Buch müsste es sein, früher klebte man die Fotos noch mit vier kleinen durchsichtigen Ecken in Alben, und es hatte Folien zwischen den Seiten, damit die Erinnerungen sauber blieben. Das Buch lag im Keller, rot auf der Rückseite des Umschlages, und andere Alben hatten die Farbe blau und schwarz. Ich hatte mit Schülerschrift zum Foto geschrieben, aufgenommen mit einer kleinen Instamatic-Kamera, die ich wohl zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte: «Ein Dokument! Penalty! in der 57. Min. Fritz Künzli lässt Marcel Kunz keine Chance 2:2!» Das Jahr, als dieses Spiel stattfand, stand nicht dazu, es muss Mitte der Sechzigern des letzten Jahrhunderts gewesen sein. Und ich weiss noch genau: Es war das erste grosse Spiel, das ich besuchen durfte, vorher war meine Fussballwelt der Heslibach in meinem Dorf Küsnacht. So sah der Let...