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Zweier und Vierer

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Blog-Nr.390 Eine kurze Geschichte mit Buchtipp Ein Tram fährt draussen vorbei, der Zweier, der Vierer kommt gleich hinterher, und dann etwas später wieder der Zweier, einmal diese Richtung, dann in die andere.  Am Nebentisch sind drei gegangen. Dunkle Anzüge haben sie getragen, Krawatte keiner, aber zwei weisse Sneakers, und einer hatte seinen Laptop vor sich, hatte ihn aufgeklappt, und sie haben zwischendurch alle draufgeschaut, irgendwelche Kalkulationen, es komme gut, sagte einer. Sie bestellten drei Negronis, zum frühen Apéro, sagte einer, wir müssen es feiern, ein anderer, es war halb zwei, fahler Frühlingssonnenschein hinter der Fensterscheibe. An einem anderen Tisch liest einer ein Buch, «Für Polina» steht auf dem Cover, von Takis Würger , und beim Googlen erfährt man darüber, Martin Suter habe vielleicht zum ersten Mal im Leben beim Lesen Tränen gehabt und er schwöre, keine einzige sei eine traurige gewesen; es ist eine Liebesgeschichte, es geht um eine Melodie, diese eine ...

Entzug

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Blog-Nr. 389 Kolumne Espresso mit Bruno und Luca* Luca, der Architekt, ist verspätet, das ist sonst nicht seine Art, schon von  berufswegen muss er exakt sein. Bruno, der Werber, sitzt im Bistro im Seefeld bereits am runden Tisch, vor sich, das ist auch nicht seine Art, keine einzige Zeitung, nur ein Espresso, wie immer, wenn sich die beiden Freunde treffen. Bruno ist einer, der, kaum ist er in einer fremden Stadt angekommen, gleich den nächsten Kiosk sucht und Zeitungen kauft, manchmal auch in einer Sprache, die er gar nicht versteht oder nur mangelhaft. Aber jetzt sitzt er da, liest nichts, sein Blick ist nicht traurig, aber doch nachdenklich, irgendwie abwesend, er blickt irgendwohin, sieht dann aber Luca. «Hallo», sagt er, «schön, dass du doch noch gekommen bist.» Sie schmunzeln, aber natürlich nimmt es Luca wunder, warum sein Freund zeitungslos einfach hier sitzt. Bruno sagt, er sei auf Entzug. Entzug von dieser Welt mit diesen täglich schrecklichen Nachrichten, diesem Kriegs...

Ein Tag mit Peter Bichsel

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Blog-Nr. 388 Die Suche nach dem ersten Satz – ein Nachruf Ich hatte die Skischuhe schon angezogen, den Helm auf dem Kopf, da schaute ich nochmals auf mein Handy, es könnte ja sein, dass jemand «Ski heil» wünscht oder «viel Spass». Ich werde das erste Mal in diesem Winter, der bei uns am See keiner war, auf einer Piste stehen. Eine Nachricht ploppte sofort auf: «Peter Bichsel gestorben». Auf Tagi-online erscheint bereits ein Nachruf, nur kurz nach der Todesmeldung. Die Medien müssen vorbereitet sein, Journalisten Nachrufe schreiben, bevor die Menschen gestorben sind, das Leben verlangt Schnelligkeit auch nach dem Tod. Peter Bichsel wurde 89. Und er hat mein Leben geprägt, vielleicht gar beeinflusst. Ich dachte immer, so schreiben zu können wie er, das muss himmlisch sein. Und dabei sagte er einmal: Schreiben habe sehr viel mit Nicht-Können zu tun. «Ich lerne es nie, und wenn ich die Chance gehabt hätte, die Tour de France zu gewinnen, wäre ich nicht Schriftsteller geworden.» Oder: «Ich...

Autos zählen

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Blog-Nr. 387 Eine Erinnerung an damals Opel gegen BMW 14:9. Oder vielleicht nur 13:9, einer war kein Opel, wir stritten zwar kurz darüber, wer nun Recht hat. VW gegen Fiat: 17:8. Eindeutig, von den Käfers, den kultigen Blechkugeln, die noch gar nicht so hiessen, aber alle so nannten, die meisten hatten noch ausklappbare Blinker – sie wurden «Winker» genannt, oder? –, also diese Käfer sah man oft auf den Strassen, damals, viele hatten hinten noch kleine, zweigeteilte Fenster. Und deshalb war es einfach: Wer VW wählte, hatte es einfach, es gab ja auch noch viele Busse mit dem grossen VW vorne auf der Brust – mit VW gewann man, damals. Ach, damals, ich und meine Schwester sassen an Sonntagnachmittagen im Elternhaus auf unserer Terrasse, je auf einem Campinghocker, aber die jüngere Schwester musste aufstehen, mit ihrem Block und Bleistift in der Hand, damit sie genau sehen konnte, was es nun war: Ein VW oder Fiat oder Opel (Rekord!) oder Ford (Capri!), vielleicht ein Renault, oder ein Citr...

«Hauptsache Weltmeister!»

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Blog-Nr. 376 Wie der FCZ Mendy verpflichtete Der Ort: Das Büro von Ancillo Canepa am Schanzengraben in Zürich. An den Wänden hängen viele Fussballbilder, Pokale stehen herum, Wimpel, einer unterschrieben von allen Spielern von Real Madrid, Diplome, auf einem Bild Cillo mit Pelé, Rüti und Santos, viele Erinnerungen an frühere schöne Zeiten beim FC Zürich. Cillo Canepa, seine Frau Heliane und Sportchef Milos Malenovic sitzen am eckigen Tisch, alle haben einen Espresso und ein Glas vor sich, Schäferhündin Chilla liegt am Boden, Nykï tollt im Büro herum. Malenovic hat kurz zuvor um eine dringende Sitzung gebeten, er habe eine wunderbare Botschaft. Vor sich auf dem Tisch liegt in einer Sichtmappe ein Papier, es sieht wie ein Vertrag aus, er legt seine Hand drauf, denn die Canepas sollen es noch nicht sehen. Cillo Canepa (fortan nur noch C ): «Milos, schiess los, was hast du dringend?» Milos Malenovic (fortan nur noch M ): «Cillo, Heliane, oh sorry, Heliane und Cillo: (Er steht jetzt au...

Frei wie ein Vogel

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 Blog-Nr. 375 Als Zugabe. Weil es so schön war an der musikalischen Lesung am Sonntag in der Imobilienwerkstatt in Küsnach t und besonders dieser Aufritt von Lukas Langenegger mit diesem Lied. Lukas covert Leonard Cohen, was er jeweils auch im Theater Rigiblick macht, und dieses Lied ist einfach besonders: «Bird on the Wire» . Der junge Cohen hielt sich einige Zeit auf der griechischen Insel Hydra auf, wo er die norwegische Touristin Marianne Ihlen («So long, Marianne») kennengelernt hatte. Eines Morgens sah er vor seinem Hause auf einer Telefonleitung, die kurz zuvor erstellt worden war, einen Vogel sitzen.  Cohen, in einer schwierigen Phase seines Lebens, er kämpfte gegen Depressionen, begann auf seiner Gitarre, die ihm Marianne geschenkt hatte, dieses Lied zu komponieren, beendet hatte er es erst viel später. Er nahm später immer wieder kleine Änderungen vor, «Like a Bird on the Wire» mit diesen wunderbaren Zeilen: «Wie ein Vogel hoch über dem Draht Wie betrunken tief in d...

Zuletzt Dylan

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Blog-Nr. 374 Musikalische Lesung in Küsnacht Am Abend zuvor in der Zürcher Tonhalle, Pippo Pollina trat mit dem Jugend-Sinfonieorchester aus Zürich auf, er am Klavier und mit der Gitarre und 66 Musikerinnen und Musiker und der Dirigent auf der Bühne, es war ein grossartiges Projekt und ein grandioses Konzert, und am Ende sang Pollina sein Lied gegen den Krieg, gegen all die schlimmen Kriege auf dieser Welt, «Signore da qui si domina la valle», geschrieben 1997. «Stoppen sie diesen Hass, dieses grausame Spiel, diesen nicht endenwollenden verfluchten Irrsinn», so hört es auf. Es war ein beeindruckender Abschluss eines Abends und nachher einen Moment lang still in der Tonhalle, alle spürten, wie wichtig es war und ist, diese Botschaft, gerade an diesem Samstag, nach diesem verstörenden Auftritt im Weissen Haus in Washington. Pollina sagt, das sei es, was die Künstler tun können, sich auflehnen gegen diesen Wahnsinn der Welt, wenigstens mit Liedern. Ich hatte am Sonntag, bei meiner musikal...